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© GETTY IMAGES NORTH AMERICA

Jenny Wolf: Gelassener Siegertyp

Früher war Eisschnelllauf-Star Jenny Wolf zufrieden in der Unauffälligkeit, jetzt fordert sie Olympiagold.

Irgendjemand hat die Halle nicht richtig geheizt, vielleicht aus Kostengründen, vielleicht durch ein Versehen. Egal, Jenny Wolf findet’s jedenfalls lausig kalt. Ihr Gesicht verschwindet fast zwischen Skimütze und der bis zum Kinn hochgezogenen Trainingsjacke. Sie würde ja gerne in die Cafeteria der Erfurter Eishalle verschwinden, dort ist es wärmer, aber das geht jetzt nicht. Neben der Eisschnelllauf-Bahn verteilt ihre Teamkollegin Katrin Mattscherodt gleich Puls-Uhren, High-Tech-Geräte. Mattscherodt hat gute Drähte zum Hersteller, sie bekam die Uhren kostenlos. Die verteilt sie nun unter den besten deutschen Eisschnellläuferinnen. Auch die 500-Meter-Weltmeisterin Jenny Wolf holt sich eine.

Am Tisch mustert sie die Packung. „Toll“, murmelt die 30-Jährige. Natürlich könnte sie problemlos auch eine kaufen, sie verdient nun genug. Ihre beiden langjährigen Sponsoren überweisen großzügig, seit sie Weltmeisterin, Weltrekordlerin und Gesamt-Weltcupsiegerin ist. „Ich fühle mich“, verkündet Jenny Wolf, „sehr angemessen honoriert.“

Deshalb bedauert Jenny Wolf, dass sie gerade für PR-Termine so wenig Zeit hat. „Aber nach den Olympischen Spielen mache ich mehr.“ Natürlich. Ist ja nichts dabei, Routine für eine, die als das Gesicht des deutschen Eisschnelllaufs gilt.

Sie besetzt eine Rolle, die sich nach Kunstprodukt anhört. Nach kühler Inszenierung. Jenny Wolf wehrt sich nicht dagegen, dass sie jetzt eine Sportart verkörpert, sie sagt: „Ich bin in diese Rolle reingewachsen.“ Aber in Wirklichkeit kann sie wenig damit anfangen, sobald die Rolle etwas übertrieben Inszeniertes von ihr verlangen würde. Das ist nicht die Welt der Jenny Wolf, die sich in der Unauffälligkeit wohl gefühlt hat. Es ist nur wenige Jahre her, dass sie von ihren Sponsoren nicht zu einem einzigen PR-Termin verpflichtet wurde. Damals hatte sie sogar ein mulmiges Gefühl, als sie mit dem Berliner Filialleiter ihres Erfurter Sponsors bloß Small Talk halten sollte.

Sie redete damals so offen darüber, wie sie jetzt ihre Bedeutung analysiert. „Der Erfolg bringt diese Aufmerksamkeit mit sich. Ich habe in den letzten vier Jahren bestätigt, was ich kann.“ Und jetzt will sie Olympiagold. „Es bringt doch nichts, etwas anderes zu behaupten.“

Anni Friesinger und Claudia Pechstein hatten nie andere Ziele. Aber sie verliebten sich in die Inszenierung, wenn sie darüber redeten, sie definierten sich über die Selbstdarstellung. Das ist der Unterschied zu Jenny Wolf. Ihr Selbstbewusstsein ist langsam gestiegen, in jenem Maß, in dem ihre Erfolgsliste länger wurde. Deshalb klingt sie unverändert authentisch. Und sie lebt diese Authentizität mit gnadenloser Konsequenz.

Sie berührt jetzt, an dem Holztisch in der kalten Halle, ein sensibles Thema: ihre größte Schwäche. Bedeutsam ist nicht, dass sie darüber redet, sondern wie. Die zweite Innenkurve, dort liegt die größte Schwäche. Jenny Wolf, die Weltmeisterin, kann, wenn sie außen startet, im Wettkampf die zweite Innenkurve nicht optimal laufen. Es geht einfach nicht, seit Jahren schon. Ein technisches Problem. Sie erreicht nur 70 Prozent der Maximalgeschwindigkeit.

Also setzt sie auf mentales Training. Sie sieht sich im Geiste selber, wie sie kraftvoll abdrückt, wie sie mit höchstmöglichem Tempo durch die Kurve jagt. Es nützt ihr nichts, dass es im Training klappt, weil sie dort selten Wettkampftempo erreicht. Sie setzt es im Wettkampf nicht um. Und in Jenny Wolf steigt das „Gefühl von Angst“ auf. Nicht immer, aber häufig genug.

Angst, ein bemerkenswertes Eingeständnis. Natürlich kennen ihre Gegnerinnen diese Schwächen, aber Schwächen überspielt man als Topstar, die gesteht man nicht öffentlich ein. Das gehört zu den Regeln der Psychotricks.

Aber Jenny Wolf hält sich an ihre eigenen Regeln. „Ich finde, wer in Vancouver die zweite Innenkurve nicht optimal läuft, darf nicht Gold holen.“

Auch nicht wenn sonst alles passt? Nein, „eine gute Innenkurve zu laufen, gehört zur Grundausstattung“. Und wenn man diese Technik in Vancouver nicht beherrscht? Ganz allgemein gesprochen. Aber damit natürlich auch: Wenn sie die Technik nicht beherrscht?

„Dann soll man nach Hause fahren und noch mal vier Jahre trainieren.“

Weltrekorde, WM-Titel? Ist das alles auf einmal nichts mehr wert?

Doch, natürlich. Sonst würde Jenny Wolf ja gleich aufgeben. Sie geht selbstverständlich davon aus, dass sie ihn behebt, diesen Fehler.

Sie empfindet sich ja zugleich unverändert als Siegertyp. Ein paar Minuten später lächelt Jenny Wolf und sagt wieder so normal, als würde sie Äpfel einkaufen: „Mich kann man morgens um fünf Uhr wecken, und dann laufe ich immer noch gut.“

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