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Griff in die Trickkiste. Joachim Löw überrascht in Brasilien.

© AFP

WM 2014 - Mit neuer Stabilität zum WM-Sieg: Joachim Löws Titelmelodie

Joachim Löw hat umgebaut. Der Bundestrainer hat der Nationalelf ein frisches taktisches Korsett verpasst. Ist das der Schlüssel zum WM-Sieg?

Der Bundestrainer schlenderte entlang der malerischen wie kraftvollen Kante zum südatlantischen Ozean. Ihm blies ein frischer Wind durch die Haare. Der Tag nach dem famosen Auftaktsieg war noch jung, als Joachim Löw mal ein paar Schritte vor das Campo Bahia gesetzt hatte, um seinen Gedanken etwas Auslauf zu verschaffen. Er wirkte vergnüglich, ganz bei sich und doch schon wieder bei der Arbeit. Samstag wartet Ghana, eine Mannschaft, die nach ihrer Niederlage nun mit aller Wucht einen Sieg braucht.

Diese Nöte hat der Bundestrainer erst einmal hinter sich gelassen. Nach dem 4:0 gegen Portugal darf der 54-Jährige für sich in Anspruch nehmen, ziemlich viel richtig gemacht zu haben. Es war ja nicht so, dass hierin eine logische Konsequenz läge. Im Gegenteil: Seit der doch sehr persönlichen Niederlage im EM-Halbfinale vor zwei Jahren musste auch Löw erst wieder um WM-Form ringen. Und auch die Vorbereitung auf die Endrunde verlief alles andere als störungsfrei. Einige Spieler konnten nur bedingt trainieren, es gab einige Zwischenfälle und Vorfälle außerhalb des Trainingsplatzes zu überwinden, und auch die letzten beiden Testspiele verliefen nur suboptimal.

Doch Löw hat die von Kritik und Zweifel begleiteten Tage und Wochen weggeschluckt und aus Frage- Ausrufezeichen gemacht. Gemessen an seinem an Sturheit grenzenden Beharrungswillen der vergangenen vier Jahre hat er nun förmlich wild gewütet. Er hat der Mannschaft ein frisches taktisches Korsett verpasst und auch sein Personal den neuen Erfordernissen angepasst. Irgendwie hat er den ganzen Laden reanimiert.

Die Mannschaft wirkt im neuen 4-3-3-Sysem ausbalanciert. Dieses System inklusive der personellen Bestückung erwies sich für das Auftaktmatch als vorzüglich. Da es sich um ein recht flexibles Gebilde handelt, könnte es als Grundmelodie durchs Turnier tragen. Wie weit, wird sich vermutlich erst in den K.-o.-Spielen zeigen, wenn es richtig happig wird.

„Das war für uns ein sehr guter Auftakt“, sagte Löw und verriet im Tonfall größter Selbstverständlichkeit: „Wir haben vor dem Spiel gesagt, dass es für uns keine andere Option gibt, als zu gewinnen.“

Wie ein Rollkommando war die deutsche Elf über Portugal hergefallen. Die Mannschaft wirkte nicht nur fußballerisch auf der Höhe, sondern war auch physisch auf dem Punkt fit. Insofern dürfte auch die Nichtberücksichtigung von Miroslav Klose, 36, und Bastian Schweinsteiger, 29, zu verstehen sein. Löw hat sich erst einmal gegen Erfahrung und Verdienst und für Ehrgeiz und Belastbarkeit entschieden.

Die wichtigste und überfälligste Entscheidung führte er im zentralen Mittelfeld herbei. Anstelle von Schweinsteiger beorderte der Bundestrainer Philipp Lahm ins defensive Mittelfeld und stellte ihm Sami Khedira und Toni Kroos zur Seite – quasi als Doppelacht. Dieses Trio bedient das Anforderungsprofil an der neuralgischen Stelle eines Spiels auf beispielhafte Art und Weise. Wenn Lahm für das wachsame und kluge Gespür für Gefahr steht, bringt Khedira das kämpferische und ausbalancierende Moment ein. Beide zusammen sind für die Statik und Kompaktheit des Gebildes zuständig. Und Kroos bleibt nicht weniger als das rhythmische und spielgestaltende Moment. Er verknüpft Abwehr und Angriff. Er ist der Schalterspieler, der mit seiner überragenden Übersicht und Passschärfe Tiefe erzeugt und Gefahr ins Angriffsspiel auf den Weg bringt.

Dieser zeigte sich vom deutlichen Sieg über Portugal wenig überrascht. „Ich weiß, was wir als Mannschaft drin haben“, sagte Toni Kroos: „Das ist der Maßstab.“ Hansi Flick verschluckte sich fast ein wenig, als er diesen forschen Satz vernahm. Aber ja, man habe eine klare Spielidee, „die wir immer wieder sehen wollen“, sagte Löws Assistent. Dabei müsse die Mannschaft in der Lage sein, sich auf jeden Gegner einzustellen. Gegen Portugal klappte das insofern vorzüglich, als das deutsche Team deren Stärken, das Konterspiel, gar nicht erst aufkommen ließ.

Ein Schlüssel lag in der Defensive. Hier verwandelte Löw mit Erfolg eine fast schon chronische Not in eine tragfähige Tugend. In Ermangelung erstklassiger Außenverteidiger knotete er gelernte Innenverteidiger an die beiden Enden der Viererkette. Damit rotiert ein Mehr an Verantwortungsgefühl für die Verdichtung des Zentrums als auch erprobte Zweikampfführung ins Team. „Mir hat gefallen, dass wir auf allen Positionen taktisch gut und leidenschaftlich verteidigt haben“, sagte etwa der Dortmunder Mats Hummels. Zudem macht Löw sich die körperlichen Stärken zunutze. In Jerome Boateng (1,92 Meter), Per Mertesacker (1,98), Hummels (1,91) und Benedikt Höwedes (1,87) verfügt die Abwehrreihe über ein Durchschnittsmaß von 1,92. Das dürfte bei diesem Turnier das denkbar höchste Hindernis darstellen.

Die für Außenstehende wohl augenfälligste Änderung betrifft die Offensive, wo über ein Jahrzehnt Miroslav Klose als gesetzt galt. Was gab es nicht für spöttische Kommentare im digitalen Netz, was Löw denn mit diesem Ein-Mann-Sturm auszurichten gedenkt? Gar nichts, lautet die simple Antwort. Diesen Sturm gibt es nur noch in der Erinnerung oder als Notvariante. Denn den Raum, in dem früher ein Stoß- oder Keilstürmer stand, füllte der Bundestrainer mit Flexibilität, oder wie es Thomas Müller ausdrückte: durch „Bewegungsstürmer“. Ob falsche, halbe oder echte Neun – am Ende wirbelten drei offensiv geschulte Mittelfeldspieler den gegnerischen Strafraum durcheinander. Wenn man so will, lässt Löw mit drei falschen Neunern stürmen. Oder anders ausgedrückt: Was soll daran nach einem 4:0 so falsch sein?

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