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Sport: Karussell der Engel

Erst Pfiffe, dann Jubel: Sechstage-Sieger Bruno Risi und Kurt Betschart erleben eine kuriose Schlussrunde

Berlin - Für ein paar Augenblicke verstand Bruno Risi gar nichts mehr. Noch nie ist der Schweizer Radprofi von 12 000 Fans so ausgepfiffen worden wie am Dienstagabend zu mitternächtlicher Stunde im Berliner Velodrom. „Ich fühlte mich plötzlich wie in einer anderen Welt, das konnte einfach nicht sein“, sagte Risi später. Was war geschehen?

Beim 94.Berliner Sechstagerennen sollte der letzte Spurt in der Nacht zu Mittwoch die Entscheidung bringen. Die Titelverteidiger Robert Bartko und Guido Fulst aus Berlin lagen zu diesem Zeitpunkt einen Punkt hinter den Schweizern Bruno Risi und Paul Betschart. Vor der letzten Kurve brachten Fulst und Betschart, der nur eine Reifenstärke dahinter lag, ihre jeweiligen Partner mit einem Schleudergriff in Position. Und dann passierte es:

Risi schob sich mit dem kraftvolleren Antritt neben Bartko, beide Fahrer berührten sich mit den Helmen. Da Risi der Schnellere war, drückte Bartkos Kopf ins Leere, durch die plötzliche Gewichtsverlagerung stürzte er und rutschte auf dem Boden über die Ziellinie – hinter dem Sieger Risi. Die Fans witterten sofort eine Unsportlichkeit gegen ihren Lokalmatador, die Stimme des Hallensprechers, der Risi und Betschart als Sieger verkündete, war im anschließenden Pfeifkonzert kaum noch zu hören.

Mit zerrissener Hose und zerschrammtem Körper schwang sich Bartko sofort wieder auf sein Rennrad, hielt direkt vor dem Sprecher Herbert Watterott und verlangte das Mikrofon. Zweimal rief er „Ruhe!“, und die 12 000 Zuschauer hörten ihm zu: „Leute, das war fairer Sport. Es war allein mein Fehler, Bruno Risi hat verdient gewonnen.“ Dann lief der Schweizer mit kreidebleichem Gesicht auf Bartko zu, umarmte ihn – der Rest ging im Jubel unter. „So etwas habe ich noch nicht erlebt, ich bin sehr stolz auf diese Jungs“, sagte Otto Ziege. Das will etwas heißen, immerhin hat das 78-jährige Berliner Radsportidol sein 61. Sechstagerennen als Sportlicher Leiter erlebt. Ähnlich äußerte sich auch der 88-malige Sechstagesieger Belgier Patrick Sercu : „Otto, dieses Finale habt ihr super hinbekommen.“

Der Endspurt, bei dem Robert Bartko nur Schrammen und Verbrennungen am Arm erlitt, stellte alles andere vom Finaltag in den Hintergrund. Als dann Bruno Risi den Doppel-Olympiasieger von Sydney später noch einmal mit Lob förmlich überschüttete, winkte Bartko immer wieder ab. „Alles Quatsch Bruno, ich habe reagiert, wie ich erzogen wurde – immer die Wahrheit zu sagen.“

Vom „Karussell des Teufels“, wie Egon Erwin Kisch das Berliner Sechstagerennen mal bezeichnet hatte, konnte bei den 1378. Sixdays seit 1899 aber auch vorher keine Rede sein. „Wie die Fahrer miteinander umgehen, das mitzuerleben ist für mich eine große Freude“, sagte Otto Ziege.

In der Abschlussnacht suchten die Holländer Robert Slippens und Danny Stam ihr Heil gleich mehrmals in der Flucht, um den siegbringenden Rundengewinn doch noch zu schaffen, aber am Ende blieb ihnen nur der dritte Platz. Doch auch die Aufsteiger der Saison, die insgesamt drei Mal bei Sechstagerennen siegten, suchten den Grund dafür nicht bei irgendwelchen Umständen, sondern zuerst bei sich. „Zum Schluss hatten wir keine Kraft mehr“, sagte Slippens. Bei der Siegerehrung klatschten auch sie neidlos Beifall, für die Sieger aus der Schweiz und deren Vorgänger. Vom 26. bis zum 31. Januar 2006 werden sich die Freunde wiedersehen.

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