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Sport: Kein Sieg gegen die Ehre

Warum Armstrong die Etappe gewinnen durfte

Berlin - Es ist die letzte Szene einer dramatischen Etappe. Vier Fahrer stürmen auf das Ziel zu: die Deutschen Andreas Klöden und Jan Ullrich, der amerikanische Dauersieger Lance Armstrong und sein italienischer Konkurrent Ivan Basso. Noch zwei Kurven. Klöden schaut herüber zu seinem Teamkollegen Ullrich, so als warte er auf dessen Antritt. Doch der hat nicht mehr genug Kraft, bleibt im Sattel sitzen. Nun greift Basso an, Armstrong sprintet hinterher – er gewinnt und holt sich das Gelbe Trikot des Führenden. Ullrich rollt als Dritter ins Ziel.

Durfte Armstrong das? Nach einem internen Kodex der Fahrer soll ein Profi, der das Gelbe Trikot trägt oder erobert, auf den Tagessieg verzichten, wenn ein anderer Fahrer die Führungsarbeit geleistet hat. Armstrong selbst hatte Marco Pantani deshalb 2000 eine Etappe gewinnen lassen, auch Ullrich ließ 1997 dem unermüdlich attackierenden Franzosen Richard Virenque den Vortritt. Hätte der Amerikaner am Dienstag dem Deutschen, der mit seiner Flucht Kampfgeist bewiesen hatte, den Etappensieg gönnen müssen? Das fragten vor allem deutsche Beobachter. Die Antwort lautet: nein.

„Für mich ist Basso am wichtigsten“, sagte Armstrong nach dem Rennen. Für seinem Sieg bekam er 20 Sekunden Zeitgutschrift, sein ärgster Konkurrent erhielt als Zweiter nur zwölf Sekunden. Außerdem konnte Armstrong vor dem entscheidenden Bergzeitfahren nach L’Alpe d’Huez seinen Siegeswillen zeigen.

Für alle, die trotzdem an Armstrongs Ehre zweifeln, sei noch auf einen anderen internen Kodex der Fahrer verwiesen. Dieser besagt: Wenn eine Mannschaft sich auf einer Etappe für ihren Kapitän opfert und – wie am Dienstag – Ausreißer wieder einholt, schuldet der Kapitän seinem Team den Sieg. Auch das ist, so sagen viele Radprofis, eine Frage der Ehre.

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