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Sport: Klare Fehler müssen korrigiert werden!

Bei der EM 2004 hat Markus Merk das Finale geleitet. Hier erklärt der dreimalige Weltschiedsrichter des Jahres, was einen modernen Unparteiischen ausmacht. Und wann er ein bisschen technische Hilfe braucht

One touch football“, im Mittelfeld keine Luft zum Atmen: Schnell ist das Spiel geworden, immer schneller. So ist der internationale Fußball, speziell auf der Insel und im internationalen Topbereich. Das fordert seinen Tribut. Die klassischen Mittelfeldregisseure, die Zehner, sie sind dem Wandel der Zeit, dem Tempo zum Opfer gefallen. Doch auch der Schiedsrichter hat sich positiv entwickelt. War er vor gut einem Jahrzehnt noch sportliches Beiwerk, so ist er heute den Spielern in seiner Athletik gleich. Unvorstellbar heute das Bild des unrunden Laufstils, des Schiedsrichters mit Ballansatz im Hüft- und Bauchbereich. Der moderne Spielleiter braucht eine exorbitante Athletik. 12–13 Kilometer Laufleistung werden in einem Topspiel gefordert, die ganze Wahrheit ist extremer: 120–150 Antritte à 20–50 Meter, das Herz arbeitet mit 90 Prozent seiner maximalen Leistung. Dies erfordert eine absolut professionelle Vorbereitung.

Aber nicht nur die physische Komponente prägt den modernen Schiedsrichter. Mentale Stärke und die Fähigkeit, die Protagonisten auf dem Spielfeld zu managen, sind gefordert. Viel wird heute über das Verhältnis zwischen Schiedsrichter und Spielern diskutiert, phasenweise wird es zerredet. Die Situation auf dem Spielfeld ist spannungs- und emotionsgeladen, das bringt die Atmosphäre in einem vollen Stadion mit sich, in einem Spiel, wo es immer noch um Sieg und Niederlage, aber heute umso mehr um eine hohe Wirtschaftlichkeit geht. Spannungen im Verhältnis gab es immer, sie sind ein Teil der Emotionen. Verschärft hat sich aber die mediale Präsenz. Einzelne Spieler rücken heutzutage stärker in den Fokus. Darum steht jeder in einer größeren Verantwortung, sein Verhalten zu überprüfen, auch aus Gründen der großen Vorbildfunktion des Fußballs für unsere Gesellschaft.

Das öffentliche Bild ist doch so: der Schiedsrichter als Einzelrichter, Soloentscheider. Aber das Team spielt bei den Schiedsrichtern eine immer größere Rolle. Ohne ein funktionierendes Team sind große Ziele nicht zu erreichen. Es gilt Schnittstellen zu schließen, dazu werden moderne Kommunikationsmittel eingesetzt. Die Assistenten sind absolute Spezialisten, werden individuell geschult. Die Masse der richtigen Abseitsentscheidungen lässt unmenschliche Fähigkeiten vermuten. Respekt und großes Kompliment einem hinlänglich unterschätzten Genre! Dabei sind die Assistenten auch noch den Linienziehern im Fernsehen ausgesetzt. War der Fuß, Oberkörper, Kopf ein Stückchen weiter vorn bei der Ballabgabe? Oder doch nicht? Übertrieben werden diese Situationen überprüft, das Bild ständig – und oft zum falschen Zeitpunkt – angehalten. Währenddessen läuft das Spiel weiter, und der Fernsehzuschauer verpasst die nächste Torchance. Das schmeckt niemandem, die klaren Dinge müssen wir ansprechen, ja, aber Millimeterdiskussionen verfälschen das Bild und werden der Dynamik des Spieles nicht gerecht. Nur weil wir technische Möglichkeiten haben, dürfen wir sie noch lange nicht übertrieben und realitätsfremd einsetzen.

Besonders intensiv geht es heute bei Turnieren zu. Wurden bei der Euro 1996 die Schiedsrichterteams noch zu den einzelnen Spielen eingeflogen, pfeifen seit der EM 2004 nur noch zwölf feste Teams, Schiedsrichter mit ihren eigenen Assistenten. Vier Wochen lang wird gemeinsam trainiert, werden die Spiele analysiert; die Teams werden physisch und psychisch individuell vorbereitet. Das große Ziel der Schiedsrichter, in der Bundesliga, aber besonders bei Europa- und Weltmeisterschaften, wo die Vergleichbarkeit aufgrund der Ballung der Spiele größer ist, lautet immer: einheitliche Regelauslegung. Eine große Trainingsarbeit bei den natürlich bestehenden unterschiedlichen Charakteren und Mentalitäten.

Technische Hilfsmittel? Wo es Sinn macht, ja, mit zwei wichtigen Kriterien: Der Fußball (seine Dynamik, die Abfolge von Situationen) darf darunter nicht leiden, Fußball ist eine Marke, gerade wegen seiner Emotionen. Aber klare Fehler, die heute in 60 Sekunden überprüfbar und korrigierbar sind, müssen korrigiert werden. Eine klar falsche Entscheidung kann nie eine gerechte Entscheidung sein. Das wollen alle, Betroffene wie Begünstigte. Das Rufen pro oder contra Videobeweis gibt es seit Wembley 1966. Es braucht keinen Aktionismus, aber konzeptionelles Denken und Offenheit gegenüber dem Fortschritt des 21. Jahrhunderts. Dass auch Schiedsrichter mitunter gegen eine Videoüberprüfung sind, scheint unverständlich und legt den Verdacht nahe, dass (vereinzelt) an einer mächtigen Position festgehalten wird. Schopenhauer hat einmal gesagt: „Neue Ideen werden erst belächelt, dann wird über sie diskutiert, und später fragt man sich, warum man sie nicht früher eingesetzt hat.“

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