zum Hauptinhalt
Untergang. Deutschland kassierte bei der Eishockey WM eine 4:12-Klatsche gegen Norwegen. Die besten deutschen Verteidiger waren erst gar nicht nach Skandinavien gereist.

© dapd

Kleine Großereignisse: Stell dir vor, es ist Weltmeisterschaft, und keiner will hin

Nicht erst die vielen Absagen deutscher Eishockey-Spieler stellen den Wert jährlicher Turniere infrage – auch andere Sportarten vergeben immer häufiger Titel.

Es war ein seltsames Spiel, dass die weinigen Zuschauer vor ein paar Tagen in Stockholm zu sehen bekamen. Eishockey-Deutschland ging mit 4:12 unter. Ein Resultat, das sich nach den Siebzigerjahren anhört. Doch damals waren die Verhältnisse im Welteishockey klar, die Russen marschierten vorneweg und die Deutschen waren nicht konkurrenzfähig. Doch nun gab es eine 4:12-Niederlage gegen Norwegen für die Nation, die mit Christian Ehrhoff und Denis Seidenberg zwei der weltbesten Verteidiger stellt. Doch die beiden Millionenverdiener aus der National Hockey-League (NHL) waren nicht in Stockholm, der eine zieht zurzeit um (Seidenberg), der andere (Ehrhoff) kümmert sich lieber um sein Sommerdomizil in Krefeld.

Bundestrainer Jakob Kölliker konnte nicht mehr als eine B-Auswahl aufs Eis schicken, am Ende fehlten bis auf Marcel Goc alle deutschen NHL-Profis und vom Deutschen Meister Eisbären Berlin war kein einziger Akteur im Team – die Spieler hatten abgesagt, nach einer langen stressigen Saison. Und ihr Klubmanager Peter John Lee hat Verständnis dafür: „Es gibt jedes Jahr eine WM, dazu noch alle vier Jahre ein Olympiaturnier. Das ist einfach zu viel für die Spieler.“

Christian Durchholz, Sportökonom an der Universität Bayreuth, sieht die Sportart in einem Dilemma: „Beim Eishockey ist die Situation durch die enorme Bedeutung der NHL eine besondere, da sich die Spielpläne der Weltmeisterschaft und der NHL überschneiden. Demnach steht hier die WM regelmäßig in Konkurrenz mit einer äußerst starken Marke.“ Sein Bayreuther Kollege Tim Ströbel glaubt, dass trotz der der starken Konkurrenz durch die NHL die Bedeutung einer Weltmeisterschaft aufgrund des Identifikationsgrades der Fans mit ihrer Nationalmannschaft nicht unterschätzt werden darf: „Die Spiele der deutschen Nationalmannschaft haben für die Fans einen hohen Stellenwert.“ Der dürfte allerdings durch Auftritte wie den gegen Norwegen allerdings nicht gerade steigen.

Zwang zur Teilnahme wäre eine mögliche Lösung

Eine für die Sportler verpflichtende Teilnahme an Welt- und Europameisterschaften hält Philipp Hasenbein, Geschäftsführer des Sportrechtevermarkters Sportfive, nicht für sinnvoll. „Eine Zwangsteilnahme finde ich falsch, es gibt einfach mentale und psychische Grenzen“, sagt er. In welcher Häufigkeit sportliche Wettkämpfe stattfinden sollten und wie sie die besten Chancen am Markt bewahren, lässt sich seiner Meinung nach nicht generell sagen: „Die vielen Turniere können allein deshalb Sinn machen, weil sie in verschiedenen Weltregionen unterschiedlich wahrgenommen werden. Die Leichtathletik-WM 2009 hat in Deutschland begeistert, weil sie auch hier stattfand. Die WM 2011 in Südkorea war für den asiatischen Markt wichtig, in Europa dagegen unter dem Radar.“ Wirklich globale Ereignisse aus Sicht der Deutschen sind nach einer repräsentativen Umfrage von „Sport + Markt“ nur die Welt- und Europameisterschaft im Fußball und Olympische Spiele. Die Beliebtheit des Fußballs hält Hasenbein indes für so ausgeprägt, dass selbst ein zweijährlicher Turnus der beiden wichtigsten Turniere „der Begeisterung mittelfristig keinen Abbruch tun würde“.

Dabei gibt es wie beim Eishockey auch beim Fußball Konfliktpotential zwischen den nationalen Ligen und den für die Nationalmannschaften verantwortlichen Verbänden. Da sich Erhebungen zufolge durchschnittlich zehn Prozent aller Akteure einer WM oder EM so stark verletzen, dass es Auswirkungen auf die nächste Saison hat, fordern die Klubs seit Jahren höhere Ausgleichzahlungen. Ein prominentes Beispiel war der ehemalige brasilianische Weltfußballer Ronaldo, der im WM-Finale 1998 gegen Frankreich trotz Verletzung wegen des Drucks der Sponsoren gespielt haben soll – in den nächsten Jahren plagte er sich mehr mit Verletzungen herum, als auf dem Platz zu stehen. „Den Sponsoren geht es um Präsenz, es ist logisch, dass sie Interesse daran haben, dass häufiger gespielt wird,“ sagt Stefan Walzel, Sportökonom an der Sporthochschule in Köln.

Dass die anderen Sportarten wegen der medialen Dauerpräsenz des Fußballs gezwungen seien, durch ständig ausgespielte Meisterschaften irgendwie präsent zu bleiben, hält Vermarkter Hasenbein für kaum plausibel. Als positive Beispiele führt er die Vierschanzen-Tournee und die Biathlon-WM an, die jedes Jahr ausgetragen werden und „trotzdem beliebt sind, weil sie sich als Marke etabliert haben“. Weniger gut sei dies der Rad-WM gelungen. Insgesamt geht es beim Kampf um Aufmerksamkeit und Sponsoren gerade für Mannschaftssportarten jedoch schon darum, den zweiten Platz hinter dem Fußball zu behaupten.

„Wenn man Deutschland betrachtet, dann hatte der Handball zwischenzeitlich im Rennen um die zweitbedeutendste Sportart lange die Nase vorne, die Welle wurde jedoch etwas verschlafen. Auch haben die Querelen der Sportart nicht gutgetan,“ glaubt Walzel. Die Ausspielung der Handball-WM alle zwei Jahre macht für Hasenbein jedoch Sinn, „früher fanden die großen Turniere unregelmäßig statt, eine Synchronisierung des Kalenders war geboten“.

Auch beim Basketball gibt es Probleme mit der Weltmeisterschaft

Doch auch der große Konkurrent des Handballs im Aufmerksamkeits-Wettbewerb, der Basketball, hat große Probleme mit seinen Weltmeisterschaften. Welchen Stellenwert diese haben, kann man im Prinzip schon an der Siegerliste der vergangenen Jahre ablesen. Beziehungsweise daran, wie selten sich die international dominierenden USA als Champion in sie eingetragen haben. Während die USA bei Olympischen Spielen in 14 von 17 Wettbewerben als Sieger vom Platz gingen, sieht die WM-Bilanz der amerikanischen Profis deutlich schlechter aus. Bei der Heim-WM in Indianapolis schied das lustlose Gastgeberteam bereits im Viertelfinale aus, nach dem Titel 1994 verpassten die USA dreimal in Folge das Endspiel, ehe sie sich im Herbst 2010 in Istanbul wieder zum Weltmeister krönten. „Wir hatten diesen Titel lange nicht gewonnen und die WM lange nicht so respektiert, wie wir es jetzt tun“, sagte US-Coach Mike Krzyzewski nach dem Endspiel.

Im Basketball gibt es alle vier Jahre eine WM – und das stets zu einem ungünstigen Zeitpunkt, genau in der Mitte zwischen zwei Olympischen Sommerspielen. Das heißt, dass man sich dabei nicht direkt für Olympia qualifizieren kann, es sei denn, man wird Weltmeister. Auch für viele nichtamerikanische Profis stellen die Titelkämpfe nach einer langen Saison in europäischen Spitzenteams oder in der nordamerikanischen Profiliga NBA deswegen nur einen geringen Anreiz da.

Europameisterschaften im Jahr vor Olympia hingegen haben sich zu einem absoluten Gipfeltreffen entwickelt, weil viele Basketballer von einem Einsatz unter den Ringen träumen. Während der vergangenen WM in der Türkei warben die Organisatoren mit großflächigen Plakaten, auf denen Stars wie Kobe Bryant, Dirk Nowitzki, Andrej Kirilenko oder Yao Ming vor türkischen Sehenswürdigkeiten posierten. Wirklich angereist war kein einziger der Werbeträger.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false