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Sport: Köpfe frei für hartes Training

Wie schon vor vier Jahren besteht die Vorbereitung der deutschen Nationalmannschaft auf die Weltmeisterschaft aus einer Mischung aus intensiver Arbeit und aktiver Erholung

Hansi Flick saß in einem windgeschützten Haus oberhalb der Hotelanlage Rocco Forte Verdura und machte einen kleinen Scherz. Auf die Frage, ob die Nationalspieler schon Wind bekommen hätten, dass im benachbarten Ort Sciacca übers Wochenende der sizilianische Karneval tobt, antwortete Flick mit einem verschmitzten: „Nein, und ich werde es auch für mich behalten.“ Gestern, am Tag eins des Regenerationstrainingslagers, war leider nicht zu erfahren, wie erfolgreich der Assistent von Bundestrainer Joachim Löw mit seinem Vorhaben geblieben ist. Aber es gibt ja auch noch ein Leben danach.

Nur etwas mehr als die Hälfte der 27 auserwählten Spieler, nämlich 15, haben die Reise nach Sizilien angetreten, die meisten von ihnen haben ihre Familien dabei im streng bewachten Golf & Spa Resort, das sich zum Meer hin öffnet. Hier am südwestlichen Zipfel Siziliens ist für eine Woche Aktiv-Relaxen angesagt. Am kommenden Montag werden dann fünf bisher dienstlich verhinderte Spieler eintrudeln, als da wären die vier Bremer Nationalspieler Tim Wiese, Per Mertesacker, Mesut Özil und Marko Marin, die im deutschen Pokalfinale beschäftigt waren, sowie Kapitän Michael Ballack, der mit dem FC Chelsea im englischen Cup-Endspiel gegen Portsmouth auflief. Der Mittelfeldspieler stand allerdings nur bis kurz vor der Pause auf dem Feld, dann wurde er von Kevin-Prince Boateng übel gefoult. Ballack wurde lange behandelt und schließlich ausgewechselt. Wie schwer die Verletzung ist, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Pikanterweise spielt der frühere Herthaner Boateng bei der WM für Deutschlands Gruppengegner Ghana.

„Sizilien soll für uns eine Art Schleuse sein von der Bundesliga hin zum eigentlichen Trainingslager in Südtirol“, erzählt Flick. Dort werden die Einheiten an Intensität gewinnen. Gruppentaktische Inhalte würden dann auf dem Programm stehen sowie der Feinschliff jener Mannschaft, die Löw und Flick zum WM-Auftakt am 13. Juni gegen Australien aufs Feld schicken werden. Das bedeute allerdings nicht, dass in den Tagen auf Sizilien gefaulenzt werden kann. Täglich stehen zwei bis drei zum Teil intensive Trainingseinheiten an, „damit die mitgereisten Frauen genügend Freiraum haben“, wie Flick sagt. „Nein“, fügt er rasch an, „wir wollen ja seriös arbeiten, es geht uns um einen Mix aus Arbeit und Abschalten.“ Die Spielerfrauen stören dabei keineswegs. Im Gegenteil, so würden sich die Familien untereinander besser kennen lernen. Flick: „Das schafft andere Verbindungen, das sind Dinge, die Teamspirit ausmachen.“

Mit anderen Worten: Die Spieler mögen die Köpfe etwas frei kriegen in einer angenehmen und doch nicht ganz ungewohnten Atmosphäre. Fast auf den Tag genau vier Jahre ist es her, dass auf Sardinien das Projekt von Jürgen Klinsmann begann. Die dreiwöchige Vorbereitung auf die Heim-WM umfasste ein Regenerativprogramm und ein anschließendes Feintuning in Genf. Die Symbiose aus Arbeit und Erholung erlangte für die deutsche Nationalelf geradezu mystischen Charakter. Damals wurde der Grundstein für ein erfolgreiches Turnier gelegt. Klinsmann dachte groß und optimistisch. In seinen Sätzen schwang eine simple Botschaft an die Spieler mit: Hört auf uns, und ihr werdet Erfolg haben. Über allen schwebte damals der Fitnessaspekt verbunden mit dem Hang Klinsmanns zum Übersinnlichen. Tatsächlich konnte die Mannschaft technische und spieltaktische Defizite durch Kraft, Power und Glaube kompensieren, sie schied erst im Halbfinale unglücklich gegen Italien aus.

„Wir haben nur dann eine Chance, wenn wir unsere Fitness ans Level der führenden Teams heranführen“, hatte Klinsmann 2004 bei seiner Amtsübernahme gesagt. Er ließ amerikanische Fitnesstrainer einfliegen. Unter anderen Mark Verstegen. Der Mann aus Arizona ist Chef der Firma Athletes’ Performance und stellt seine Dienste auch jetzt wieder zur Verfügung. „Ich bin sehr stolz, wieder Teil dieser Mannschaft zu sein“, sagte der frühere Footballprofi, der inzwischen deutliche Unterschiede zu 2006 ausgemacht haben will. Die Systeme, Maschinen und Inhalte seien die gleichen, „nur wissen die Spieler besser damit umzugehen“, sagte er und denkt dabei an die Zweifel und Häme zurück, die es auch in den Medien gab, als die Nationalspieler mit grünen Gummibändern merkwürdige Übungen machten. Heute lacht niemand mehr. „Alle Bundesligaklubs haben die Wichtigkeit der Fitness erkannt und längst Spezialisten eingestellt“, sagt Verstegens früherer Assistent Shad Forsythe, der das deutsche Team bei jedem Länderspiel betreut und mittlerweile sogar in Deutschland lebt. „Es gibt eine ganz andere Einstellung in der Liga, dort wird fantastisch gearbeitet“, erzählt Forsythe, der darin auch einen Grund sieht, dass deutsche Mannschaften inzwischen wieder eine erfolgreiche Rolle in den europäischen Wettbewerben spielen.

Das Training wird so ausgerichtet, dass es nicht zu einer Gewichtszunahme führt, erklärt Verstegen. Heute baue niemand mehr große und schwere Autos, weil darunter die Leistung leidet. „Man macht sie leichter, um mehr PS herauszukitzeln und zeigt gleichzeitig dem Fahrer, wie man sie richtig fährt.“ Die deutschen Spieler hätten das längst kapiert. Dann klatscht Verstegen in die Hände und sagt: „Uns gefällt es, Champions aufzubauen.“

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