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Irdisches Glück. David Villa kam aus Barcelona und trifft nun für Atletico.

© Reuters

Kolumne - Meine Champions: Atletico Madrid - die neue spanische Fußball-Macht

Unser Autor Sven Goldmann schreibt ab sofort vor den Spieltagen der Champions League über Europas Fußball. In seiner ersten Kolumne geht es um Atletico Madrid, das in Spanien in die Phalanx von Real und Barcelona eingebrochen ist und nun auch in Europa angreift.

AC Milan also. Alter Fußball-Adel mit sehr gegenwärtigen Sorgen. Hätte schlimmer kommen können für Atletico Madrid im Achtelfinale der Champions League. Atletico hat in der Gruppenphase fünf von sechs Spielen gewonnen und darf sich durchaus als Favorit betrachten. Auch wenn es zuletzt nicht ganz so gut gelaufen ist. Erst ging im Pokal das derbi madrileño gegen die Lieblingsfeinde von Real verloren und dann auch noch die Tabellenführung durch eine blöde 0:2-Niederlage in Almeria.

Diese Mini-Krise verstellt ein wenig den Blick auf die bemerkenswerte Erfolgsgeschichte, die sich da im Estadio Vicente Calderón abspielt. Vor ein paar Jahren war Atletico klinisch tot. Seitdem hat der Arbeiterklub aus dem Süden Madrids den Briefkopf um zwei Finalsiege in der Europa League und einen Triumph im spanischen Pokal erweitert. Der Verkauf des Kolumbianers Radamel Falcao für 60 Millionen Euro an den neureichen AS Monaco hat die Finanzen ein bisschen saniert. Die Tore schießen jetzt der aus Barcelona akquirierte Nationalheld David Villa und Diego Costa (ein Brasilianer, der bei der WM lieber für Spanien spielen möchte und deswegen in der Heimat von einem Ausbürgerungsverfahren bedroht ist). In der Winterpause war sogar genug Geld da für einen Spontankauf des Wolfsburgers Diego (ein Brasilianer, der bei der WM sehr gern für Brasilien spielen würde).

Trotz der Minikrise im Februar piesackt Atletico immer noch die Granden von Barça und Real. Da staunt die Bundesliga, die ja immer ein wenig Angst gehabt hat vor spanischen Verhältnissen, also einer Dominanz der Liga durch immer dieselben beiden Klubs. Diese neuen spanischen Verhältnisse hätte die Bundesliga ganz gern, seitdem der FC Bayern in seinen eigenen Orbit entrückt ist. In Spanien geht es so spannend zu wie zuletzt vor 30 Jahren, und dieses historische Verdienst bleibt für Atletico. In guten Zeiten denken sie bei Atletico schon mal zurück an die schönen Zeiten in den Siebzigern, als ihr Klub nicht nur konkurrenzfähig war, sondern führend. In Spanien und beinahe auch in Europa.

Tagesspiegel-Reporter Sven Goldmann.
Tagesspiegel-Reporter Sven Goldmann.

© promo

Die Protagonisten dieser Epoche waren Rubén Ayala und Luis Aragonés. Der Argentinier Ayala kam 1973 als ein hakenschlagender Kulturschock zu Atlético. Die schwarze Mähne baumelte hinunter bis an die Hüfte, ein unglaublicher Akt in den späten Franco-Jahren bei einem Klub, der eine Zeit lang mit der Fußballsparte der Luftwaffe paktiert und sich nach dem Bürgerkrieg Atletic Aviación genannt hatte. Aragonés, den sie alle nur Luis nannten, erfuhr 2008 späte Berühmtheit, als er Spanien zum Europameister machte. Sein halbes Leben hat er bei Atletico verbracht, erst als Spieler, später als Trainer. Es war Luis, der 1974 im Europapokalfinale gegen den FC Bayern in der Verlängerung zur 1:0-Führung traf. Vor der Bank tanzten und feierten sie schon, aber dann wusste Katsche Schwarzenbeck in der letzten Sekunde nicht wohin mit dem Ball und schoss ihn aus 30 Metern einfach ins Tor. Das Wiederholungsspiel ging für Atlético 0:4 verloren.

Luis Aragonés ist vor ein paar Wochen gestorben. Im Estadio Vicente Calderón ehrten sie ihn passend zu seiner früheren Trikotnummer mit acht Schweigeminuten. Zum Abschied sprach Trainer Diego Simeone: „Luis wird stolz sein auf Atletico!“ Im Achtelfinale der Champions League soll es der AC Milan am Mittwoch zu spüren bekommen. Alter Fußballadel mit sehr gegenwärtigen Sorgen. Hätte schlimmer kommen können für Atlético.

Sven Goldmann schreibt immer dienstags in den Spielwochen der Champions League über Kicker, Klubs und Klassiker in Europas Fußball.

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