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Im Kreml brennt wieder Licht. Die Kritik aus dem Westen schmiedet die Russen zusammen.

© dpa

Kritik des Westens an Olympia: Russen reagieren mit Patriotismus – aus Trotz

Die Gastgeber verfolgen die Kritik des Westens an den Spielen mit Argwohn. Viele Russen empfinden sie als unfair – manche glauben, dass sie die Nation und Kremlchef Putin eint.

„Gefällt es Ihnen?“ Tatjana aus Tscheljabinsk im Südural ist als Volunteer – als freiwillige Helferin – bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi im Einsatz. Sie schaut, als ob von der Antwort ihr Leben abhinge. Für das russische Organisationskomitee wertet sie englischsprachige Zeitungen aus und ist nach eigenen Worten „zuweilen entsetzt, oft sogar empört“ über die unfreundliche Berichterstattung. Der Westen suche „auf Teufel komm raus nach Hundehaaren in der Suppe“.

Die 22-Jährige erklärt sich das mit Missgunst: Klassische Wintersportzentren in den Alpen, glaubt sie, fürchten, mit Sotschi wachse ihnen langfristig ernst zu nehmende Konkurrenz heran. Russlands Oligarchen, die derzeit in St. Moritz oder Kitzbühel so intensiv und genussfreudig konsumieren, dass Händler und Hoteliers unfeine Tischsitten und Lärm zu den ortsüblichen Ruhezeiten geflissentlich übersehen, könnten bald im Nordwestkaukasus zu Tal brettern. Trotz Terrorismusgefahr. „Wir Russen“, sagt Tatjana, „sind daran inzwischen so gewöhnt wie die Israelis.“

Das Staatsfernsehen ist die einzige Informationsquelle für die Russen

Die tendenziöse Berichterstattung westlicher Medien aus Sotschi, glaubt Tatjana, habe indes auch ihr Gutes. Sie habe die Nation zusammengeschweißt und auch aus jenen Patrioten gemacht, die es bisher nicht waren. Ausnahmen wie der Satiriker Viktor Schenderwotisch, der Parallelen zu den Spielen der Nationalsozialisten 1936 in Berlin zog, kommen nur in kritischen Medien mit geringer Reichweite vor, nicht im Staatsfernsehen, das in weiten Teilen Russlands für die Menschen nach wie vor einzige Informationsquelle ist. Und westliche Negativschlagzeilen zu Menschenrechtsdefiziten in Russland mit Reportagen über Obdachlose in Europa, Diskriminierung von Roma oder Schießereien an US-Schulen konterkariert.

Auch in der politisch sonst eher abstinenten russischen Sportpresse wird schärfer polemisiert. Beim Fackellauf sei das olympische Feuer mit schöner Regelmäßigkeit ausgegangen, kleine Pannen habe es bei jeder Eröffnungsfeier gegeben, bei den Sommerspielen in London seien die Sicherheitsvorkehrungen schärfer gewesen als derzeit in Sotschi, in Vancouver hätten die Athleten bis zu drei Stunden Fahrt zum Training in Kauf nehmen müssen, in Turin seien für den Bau der Wettkampfstätten ganze Wälder gestorben. Das, rügen die Kommentatoren, sei – wenn überhaupt – mit einem Nebensatz erwähnt worden.

Dennoch hätten die lieben Kollegen im Westen Pannen und Mängel in Sotschi unmittelbar vor Beginn der Spiele mit viel Liebe zum Detail und Häme wie zu Zeiten des Kalten Krieges geschildert. Positives aber – Wettkämpfer, die Pisten und Loipen oft zu Fuß erreichen, loben die kurzen Wege, das gute Freizeitangebot, die hervorragende russische Küche und vor allem die Freundlichkeit der Menschen – werde dagegen bewusst ausgeblendet. Warum, fragen sich die Kolumnisten daher nahezu unisono, werden Olympische Spiele – je nachdem, ob sie in Russland oder im Westen stattfinden – mit zweierlei Maß gemessen?

Die Frage ist berechtigt, die Antwort nicht einfach. Dass viele Menschen im Westen Russland eher kritisch sehen, könnte mit dem provokanten Imponiergehabe von Russlands Goldener Horde zusammenhängen, die nach dem Ende der Sowjetunion 1991 in die Ferien-Resorts am Mittelmeer einfiel. Und mit der katastrophalen Öffentlichkeitsarbeit des Kremls.

Putin galt im Westen einst als Hoffnungsträger

Denn als Putin zur Jahrtausendwende Boris Jelzin im Amt des Präsidenten beerbte, sah der Westen ihn zunächst als Hoffnungsträger und gewährte ihm einen großen Vertrauensvorschuss. Der indes war durch misslungenes Krisenmanagement und Falschinformation – zunächst bei Untergang des Atom-U-Bootes Kursk im Sommer 2000, dann bei diversen Geiseldramen mit hunderten Opfern – schnell aufgezehrt.

Zumal Kremlchef Putin die Katstrophen als Vorwand nutzte, die innenpolitischen Daumenschrauben rigoros anzuziehen. Ein ramponierter Ruf aber lässt sich verdammt schwer reparieren. Eine Erfahrung, die auch Putin trotz beeindruckender außenpolitischer Erfolge der letzten Zeit machen musste. Allein die Winterspiele in Sotschi, auf die sogar die russischen Börsen mit einem Aufwärtstrend reagierten, genügen noch nicht für die lang ersehnte Trendwende.

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