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Sport: La Petite Nation

100 Jahre nach dem ersten Grand Prix überhaupt steckt das Motorsportland Frankreich in der Krise

Es war ein Sieg ganz nach dem Geschmack der Franzosen: Ein Renault auf Michelin-Reifen fuhr als Erster durchs Ziel. 100 Jahre ist es her, seit der Ungar Ferenc Szisz auf eben jener Kombination den ersten Automobil-Grand-Prix überhaupt gewann. Am 27. Juni 1906 wurde die Premiere der später so erfolgreichen Wettrennen auf einem Dreieckskurs östlich von Le Mans ausgetragen. Am Sonntag, 100 Jahre später, besteht die realistische Möglichkeit, dass wieder ein Renault mit Michelin-Reifen, diesmal gesteuert vom Spanier Fernando Alonso, den Großen Preis von Frankreich gewinnt. Davon abgesehen aber hat sich im Vergleich zum vergangenen Jahrhundert einiges geändert.

Auch die gestrigen Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag haben nicht darüber hinwegtäuschen können, dass aus der einst großen Rennfahrernation Frankreich ein kleines Motorsport-Entwicklungsland geworden ist. Schon seit geraumer Zeit wartet das Land des viermaligen Weltmeisters Alain Prost darauf, dass ein hoffnungsvoller Fahrer den Sprung in die Formel 1 und vielleicht den ersten französischen Sieg seit Olivier Panis 1996 schafft. Doch stattdessen mussten die Zuschauer an der Strecke in Magny-Cours im vergangenen Jahr gar erleben, wie das Undenkbare eintrat: Beim französischen Grand Prix war kein einziger Einheimischer am Start. Diesmal ist zwar Franck Montagny dabei, doch der wird die nationale Ehre in seinem hoffnungslos unterlegenen Super Aguri kaum retten können.

Daran wird sich so bald auch nichts ändern. Die Rennsportnation Frankreich, die zu Beginn der Neunzigerjahre teilweise mehr als zehn Piloten des Grand-Prix-Teilnehmerfeldes stellte, klagt seit Jahren über Nachwuchsmangel. Dieser wiederum hängt mit den strengen französischen Tabakwerbegesetzen zusammen. Kleinere, von Tabakherstellern finanzierte Nachwuchsrennserien sind auf diese Weise verschwunden. Und die wenigen Talente, die sich dennoch hervortaten, fanden keinen Platz in der Formel 1: Der frühere Formel-3000-Europameister Sebastien Bourdais drehte enttäuscht in die zweitklassige US-Champ-Car-Serie ab, die hoch gehandelten Alexandre Prémat und Nicolas Lapierre versauern in der Nachwuchsklasse GP2, und der frühere Renault-Testfahrer Montagny wurde vom multinationalen Team unter französischer Flagge zu Super Aguri abgeschoben.

Sinnbildlich für die Krise im französischen Motorsport steht der gegenwärtige Austragungsort des Grand Prix. Magny-Cours leidet an mangelhafter Infrastruktur, katastrophaler Verkehrsanbindung und obendrein an einer charmelosen Strecke, die den Zuschauern wegen fehlender Überholmöglichkeiten meist langweilige Prozessionsrennen serviert. Es ist daher wenig verwunderlich, dass Formel-1-Chef Bernie Ecclestone bereits mehrmals angedroht hat, das Rennen im Mutterland des Grand Prix zu streichen.

Bis jetzt allerdings gibt es den Grand Prix noch, und dieses Jahr könnte er mit einem Sieg von Renault und Michelin zu einem großen Triumph werden. Im nächsten Jahr werden die französischen Fans schon weniger Grund zum Feiern haben – ab 2007 wird Michelin nicht mehr in der Formel 1 vertreten sein. Dann wird Renault wie alle anderen Teams auf japanischem Gummi an den Start gehen müssen. Bleibt also nur noch Renault als französischer Faktor, und hier auch lediglich der Motor. Der Rest des Autos wird woanders gefertigt. In England.

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