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Länderspiel: Klinsmänner ohne "Saft"

Klinsmanns "Senioren-Experiment" ist gescheitert: Mit den Rückkehrern Hamann und Wörns erlebte die Nationalelf einen Rückfall in den unter Rudi Völler praktizierten Sicherheits-Fußball.

Rotterdam (18.08.2005, 12:14 Uhr) - Als die Spieler am Frühstückstisch über das glücklichste Länderspiel-Remis seit Jahren diskutierten, war der Bundestrainer schon längst aus Rotterdam verschwunden. In aller Herrgottsfrühe machte sich Jürgen Klinsmann am Donnerstag auf den Weg zurück in seine kalifornische Wahlheimat - und hätte sich eine schönere Reiselektüre gewünscht. «Rückfall in schlimme Zeiten» oder «Käse-Abwehr» lauteten nach dem 2:2 gegen den Erzrivalen Niederlande die Schlagzeilen im deutschen Blätterwald.

Klinsmann und das Gros seines Personals präsentierten wie immer die optimistische Sicht der Dinge. Hand in Hand gingen Ballack & Co nach dem Schlusspfiff zum kleinen deutschen Fanblock, verdrängten die spielerisch armselige Darbietung und priesen stattdessen die eigene Moral. «Wir haben große Tugenden gezeigt und das Spiel nach einem 0:2 noch umgebogen», urteilte Oliver Kahn. «Die Mannschaft hat sich zusammengerissen, hat Charakter bewiesen, und die Tore auch klasse gemacht», resümierte Michael Ballack. Und Dietmar Hamann befand sogar: «Wir hatten die Holländer bis auf die ersten zehn Minuten in jeder Halbzeit immer im Griff. Wenn das Spiel noch 15 Minuten länger geht, hätten wir vielleicht sogar noch ein drittes Tor gemacht.»

Das hätte freilich den Spielverlauf gänzlich auf den Kopf gestellt und möglicherweise zu einem noch größeren Realitätsverlust bei Rückkehrer Hamann gesorgt. Der 31-Jährige, den Klinsmann erstmals in seiner gut einjährigen Amtszeit berücksichtigte, stand symbolisch für den vor allem in der ersten Halbzeit eklatanten Rückfall in den unter Rudi Völler praktizierten Sicherheits-Fußball. «Aufgefallen ist bei bestimmten Leuten, dass wieder nach hinten gespielt wurde», bemerkte DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder mit süffisantem Unterton.

Klinsmann vermied zunächst eine Bewertung von Hamanns Comeback. Er wolle sich «erst noch einmal das Spiel im Fernsehen anschauen», bevor er sich ein Urteil über einen Spieler erlaube. Aber dann wird er wohl auch zur Erkenntnis kommen, dass das «Senioren-Experiment» mit neun Spielern aus Völlers EM-Mannschaft nicht aufging. Welche Schlussfolgerungen er daraus zieht, wird man bereits in zwölf Tagen sehen, wenn sich in Berlin das nächste Aufgebot für die Länderspiele in der Slowakei (3. September) und in Bremen gegen Südafrika (7. September) versammelt.

Ob Hamann dann wieder dabei sein wird, ist eine spannende Frage - die Rückkehr von Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger könnte nur durch Krankheit oder Verletzung gestoppt werden. Die beiden Youngster, denen Klinsmann zum Start in die WM-Saison eine schöpferische Pause verordnet hatte, durften sich vom heimischen Fernseher aus als Gewinner von Rotterdam fühlen. Auf eine Premiere kann der erst 19-jährige Linksverteidiger Marcell Jansen von Borussia Mönchengladbach hoffen. Denn auf der größten Problemposition im DFB- Team zeigte sich, dass der als Bewacher des zweifachen Torschützen Arjen Robben überforderte Allrounder Bernd Schneider nur eine Notbesetzung ist.

Mit der Rückkehr von Podolski und Schweinsteiger verbindet sich die Hoffnung, dass die «Klinsmänner» wieder zu jenem angriffslustigen Spiel finden, mit dem sie beim Confederations Cup die Fans begeistert haben. «Es war logisch, dass der Schwung aus dem Confederations Cup nicht übertragbar war auf dieses erste Spiel. Wir wussten, dass wir so früh in der Saison nicht den Saft haben, um den Gegner 90 Minuten unter Druck zu setzen», wehrte sich Klinsmann gegen den Vergleich.

Schon seine Anfangstaktik mit drei defensiven Mittelfeldspielern trug jedoch mit dazu bei, dass die deutsche Elf im Stadion «De Kuip» in der ersten Halbzeit nur reagierte, statt zu agieren. «Da haben wir ja nicht viel falsch gemacht, weil wir gar nichts gemacht haben», kommentierte Kapitän Ballack den desolaten Auftritt bis zur Pause, in der die DFB-Auswahl mit dem 0:1-Rückstand bestens bedient war. «Wir hatten mächtig Dusel», gestand Christian Wörns, dessen Comeback nach halbjähriger Pause einen unglücklichen Verlauf nahm.

Als Robben unmittelbar nach Wiederanpfiff ein zweites Mal die deutsche Abwehr und vor allem Wörns folgenschwer narrte, schien die Partie entschieden. Doch zu früh ruhte sich die Mannschaft von Marco van Basten auf dem Vorsprung aus, was Michael Ballack und Gerald Asamoah mit ihren Treffern ausnutzten.

So scheiterte zwar das Vorhaben, die fünf Jahre währende Sieglosigkeit gegen die großen Fußball-Nationen zu beenden, auch im 15. Anlauf. Kahn sprach dennoch von einem rundum erfolgreichen Auftritt in eigener Sache: «Das erste Ziel, nicht zu verlieren, habe ich erreicht. Das zweite, zu null zu spielen, habe ich nicht erreicht. Das dritte, dass Makaay kein Tor macht, habe ich erreicht - es war also ein hervorragender Tag für mich.» An seiner Zwangspause in den nächsten beiden Spielen, in denen Rivale Jens Lehmann ins Tor darf, ändert das nichts. (Von Oliver Hartmann und Jens Mende, dpa)

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