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Sport: Läufer an der Grenze

Kenias Langstreckler sind die besten der Welt, die Helden ihres Landes. Nun geraten sie zwischen die Fronten des Krieges. In Todesangst trainieren sie für Olympia

Die spindeldürren Beine haben sie weit von sich gestreckt. Eine kleine Gruppe schmächtiger Personen liegt im Halbkreis auf dem Rasen nahe der Stadt Eldoret in Kenia. Daneben trocknen Trainingsjacken und Laufhosen in der Morgensonne. Ihr Trainer bringt eine große Silberkanne mit Tee, genug für die neun jungen Athleten, die sich entspannen nach der ersten Tageseinheit und höflich bedanken. Männer und Frauen, Weltmeister und Weltrekordhalter, Superstars in einem Land, das sich im Sport über die Leichtathletik definiert. Sie sind vor allem eines: froh endlich wieder laufen zu können.

Morgens ist die beste Zeit zum Trainieren, da scheint die Welt noch in Ordnung, und die Luft ist kalt und frisch, so wie bei den großen Rennen in Europa. Eliud Kipchoge überprüft den Sitz seiner Laufschuhe. Die Wollmütze hat er tief im Gesicht, dünne Handschuhe schützen ihn vor der Kälte. Mit federnden Sprüngen wärmt er sich vor dem roten Eingangstor vom Global Sports Camp auf. Er wartet auf die anderen Läufer. Kipchoge ist erst 25, doch in Kenia ist er schon ein Idol. Gerade mal 20, gewann er 2003 in Paris den Weltmeistertitel über 5000 Meter, ein Jahr später bei den Olympischen Spielen in Athen die Bronzemedaille. Nun trainiert er im Global Sports Camp.

Das Camp liegt in Kaptagat, etwa zwanzig Kilometer östlich von Eldoret, inmitten der Nandi Hills. Es ist nur eines der vielen Leistungszentren, in das Trainer und europäische Manager junge Talente holen. Hier arbeiten sie daran, dass sich ihr Traum erfüllt: Sie wollen bei internationalen Wettkämpfen antreten. In 2300 Meter Höhe ist man hier, schaut hinab auf grüne Hügel, Weideflächen und Maisfelder, aber auch auf die Ruinen von zerstörten Höfen, verlassene Siedlungen und ausgebrannte Busse. Denn nach all den Unruhen, Stammeskämpfen und ethnischen Vertreibungen hat sich das Leben im Rift Valley verändert. Auch Eliud Kipchoge hat Angst. Schon zwei seiner Kollegen sind getötet worden, durch Giftpfeil und Machetenhiebe.

Im März sind die Cross-Weltmeisterschaften, die Vorbereitungen auf die Olympischen Sommerspiele in Peking laufen auf Hochtouren, nur die Trainingsbedingungen, die waren in den letzten Wochen alles andere als optimal. Oppositionsanhänger haben Jagd auf Kikuyu gemacht – jenen Volksstamm, zu dem auch der umstrittene Präsdident Mwai Kibaki gehört. Seit den gefälschten Präsidentschaftswahlen am 27. Dezember 2007 ist Kenia gespalten. Hier im Hochland ist die Wut besonders groß. Eigentlich ist hier die Heimat der Kalenjin, doch die größten Farmen gehören Kikuyu.

Die meisten Läufer sind vom Stamm der Kalenjin. So auch Victor Chelogoi. Der 18-Jährige ist eines der großen Nachwuchstalente auf der Strecke über 5000 Meter. Schon in der Schule war Eliud Kipchoge sein Vorbild – aus dem Nichts zum Weltmeistertitel. Also stand Chelogoi eines Tages vor dem roten Tor des Global Sports Camp. Der Trainer sagte ihm, er müsse trainieren, bis sein Name auf Bestenlisten auftauche. Das tat Chelogoi und gewann 2007 die nationalen Schulmeisterschaften. Kurz darauf wurde er in das Camp eingeladen.

Dieses Jahr will er es nach Peking schaffen. Deshalb haben ihn die Wahlen auch nicht interessiert, er wollte lieber im Camp bleiben und laufen. „Doch als die Unruhen anfingen, war ich plötzlich von der Umwelt abgeschnitten“, sagt er. In den Wald konnte er nicht, weil da marodierende Jugendliche mit Macheten umherzogen. „Einen Tag Training zu verlieren ist ein sehr großer Fehler“, sagt er. Nun hat er zwei Wochen verloren. Der Trainer Patrick Sang ist auch besorgt um das Ansehen seines Camps.

Früher stand Eldoret für den Sport, war berühmt für seine Läufer. Inzwischen würden die Kenianer bei Wettkämpfen gefragt, was bei ihnen denn los sei, sagt Sang. Mit einem Mal erschienen die Kenianer als Menschen, die einander wie die Hasen töteten. Im Camp nennen sie Sang „Mr. Silver“. Im Hürdenlauf über 3000 Meter holte er gleich dreimal Silber – bei den Weltmeisterschaften in Tokio 1991 und Stuttgart 1993 und bei den Olympischen Spielen in Barcelona 1992. Sang ist Teil einer Erfolgsgeschichte. Auf der Liste der zehn besten Marathonläufer des letzten Jahres stehen sieben Namen aus Kenia. Erfolge, die im Rift Valley Nachahmer animierten.

Die jetzt jedoch, umgeben von Gewalt, nicht mehr wie ihre Vorbilder trainieren können. „Die psychologischen Wunden sorgen mich am meisten“, sagt Trainer Sang. Wie sollen seine Läufer den Kopf freihaben, wenn sie sich ständig fragen, ob ihre Familie in Gefahr ist? Wenn sie vielleicht sogar selbst in Gefahr sind?

Trotz der scheinbaren Ruhe, die seit den Vermittlungsversuchen von Kofi Annan in Kenia herrscht, bleibt die Unsicherheit. Am Mittwoch ist Marathon-Weltmeister Luke Kibet nur knapp einem Hinterhalt entkommen. Sechs junge Männer hatten seinen Wagen angehalten, in dem er mit vier Trainingskollegen saß, und ihn bedroht. Kibet zückte sein Gewehr und drückte dann aufs Gaspedal. Nur so konnte er entkommen. Es ist nicht das erste Mal, dass Kibet zum Opfer von Gewalt wurde. Bereits Mitte Januar war er von einem Stein gezielt am Kopf getroffen und im bewusstlosen Zustand ins Krankenhaus eingeliefert worden. Gerade erst hatte er das Training wieder aufnehmen können. Und Lucas Sang, Läufer über 400 Meter, hat die politischen Unruhen sogar mit dem Leben bezahlt.

Der Fall des Lucas Sang – nicht verwandt mit Patrick Sang – zeigt vor allem eins: Opfer und Täter sind nicht immer leicht zu trennen. Am Tag der Vereidigung von Präsident Kibaki war Lucas Sang tot. An einer Blockade von Kikuyu aus dem Auto gezogen und brutal ermordet, sagen seine Läuferkollegen. Die Kikuyu von Kimomo jedoch, jenem Vorort von Eldoret, an dem die Leiche von Lucas Sang gefunden wurde, erzählen eine andere Geschichte: Lucas Sang hätte dort Häuser angezündet und andere zum Massenmord anstiften wollen. Als er fliehen wollte, sei er an einem Zaun hängengeblieben und hingefallen. Mit Macheten hätte man ihn erschlagen. Im Dorf hätte jeder gewusst, dass Sang Jugendliche dafür bezahlt habe, unter den Kikuyu Angst zu verbreiten, zu brandschatzen und zu plündern. 200 Schilling gab es dafür, umgerechnet zwei Euro. In den Taschen des Toten hätten sie Indizien gefunden: eine Pistole und 500 Euro in kenianischen Schilling. In einem Land, in dem sich Kinder nach Läufern benennen, fällt es schwer zu glauben, dass Idole zu Mördern werden. „Jeder hier will ein Topathlet sein“, sagt Patrick Sang.

Doch die Gewalt in Kenia orientiert sich an ethnischen Grenzen, nicht am Beruf. Die Trainer versuchen ihre Läufer aus der Frontlinie heraus zu halten. „Olympia ist ein Wettbewerb, für den jeder Athlet sterben würde“, sagt Coach Sang, „die Politik nicht.“ In Kenia geht es um mehr als nur den Wahlbetrug. Hier geht es um die Zukunft und eine Perspektive, der eigenen Armut zu entrinnen. „Wenn du Geld verdienen willst, dann werde entweder Politiker oder Läufer“, lautet ein kenianisches Sprichwort. Für den 18-jährigen Victor Chelogoi ist die Antwort klar. „Ich bin kein Politiker“, sagt er. „Mein Ziel ist Frieden, weil ich nur dann gut trainieren kann.“

Alexander Glodzinski[Eldoret]

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