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Mit Kanonen auf Spitzen. Mit dieser Lärmanlage ging Hoffenheims Hausmeister gegen Schmähgesänge der Gästefans vor.

© dpa

Sport: Lange nichts gehört

Vor drei Monaten wurden Dortmunds Fans im Stadion der TSG Hoffenheim akustisch belästigt – bestraft wurden bisher weder die beiden Täter noch der Verein. Warum nicht?

Drei Monate liegt sie nun schon zurück, die letzte Attacke eines Mitarbeiters des Fußballbundesligisten TSG Hoffenheim. Bei Heimspielen gegen den FSV Mainz 05, Eintracht Frankfurt und den 1. FC Köln beschossen der Stadionhausmeister und sein Komplize die gegnerischen Fans mit Hochfrequenztönen aus einer Schallkanone. Erst Dortmunder Fans konnten bei ihrem Besuch die beiden Unruhestifter überführen und brachten den Fall Mitte August schließlich zur Anzeige. Seither wird sowohl beim Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) als auch bei der Staatsanwaltschaft Heidelberg vernommen, begutachtet, untersucht, eingeschätzt und abgewogen. Ein Urteil? Bisher nicht in Sicht. Aber zumindest das Motiv der Schallschützen war schnell gefunden: Rache.

Rache für den öffentlich angefeindeten Dietmar Hopp, ihren Chef, den milliardenschweren Präsidenten der TSG. Denn die Täter betätigten ihre Kanone nur, wenn ihre sorgfältig ausgesuchten Opfer mal wieder zu diffamierenden Schmähgesängen ansetzten. Doch was sollten die hochfrequentierten Töne eigentlich bezwecken? Lediglich die Beleidigungen übertönen? Oder doch die Singenden quälen unter dem ohrenbetäubenden Fiepen? So oder so – mit ihrer unkonventionellen Maßnahme verletzte das Täterpaar bei dem Spiel gegen Borussia Dortmund mindestens einen Fan aus dem Gästeblock.

Sie hätten eigenverantwortlich gehandelt, hieß es unverzüglich von Vereinsseite, man habe nichts von den Aktionen gewusst. Schwer zu glauben, bei einer Größe der Kanone von 1,30 Meter, auf einen rollbaren Untersatz geschraubt und mit 60 Kabeln an das Stromnetz des Stadions angeschlossen. Eine fantastische Maschine, die auch ein Erfindergeist wie Daniel Düsentrieb besser nicht hätte bauen können. Kaum zu übersehen. Und auch nicht zu überhören.

Bei der verantwortlichen Polizeistelle in Heidelberg gingen in den darauffolgenden Tagen elf Anzeigen ein, sagt Polizeisprecher Norbert Schätzle. Ein Großteil sei zwar höchstens als Unmutsäußerung zu verstehen, ein paar Trittbrettfahrer seien auch dabei. Doch zumindest ein Stadionbesucher aus Pforzheim hatte ernste körperliche Schäden davongetragen – einen Hörsturz. „Die Person hatte bereits in der Vorwoche einen Hörsturz“, weiß Schätzle, „da besteht natürlich zusätzlich die Frage, warum man in einem solchen gesundheitlichen Zustand zu einem Fußballspiel gehen muss.“ Aber das hätten ja – zum Glück – andere zu bewerten, er habe lediglich die Anzeigen aufgenommen, die Tatwaffe sichergestellt und die beiden beschuldigten Personen vernommen.

Seit einigen Wochen liegt der Fall nun auf dem Schreibtisch von Florian Pistor. Und der Staatsanwalt kann die Freude über die Herausforderung kaum verbergen. „Die Sachlage ist einzigartig. So etwas hat es zuvor noch nie gegeben“, sagt er aufgeregt, „und umso schwieriger ist es natürlich, zu einer allgemeingültigen Bewertung der Vorwürfe zu kommen.“ Die zentrale Frage lautet: Ist es tatsächlich möglich, mit der konfiszierten Lautsprecherapparatur eine Körperverletzung hervorzurufen? Zu dem aktuellen Ermittlungsstand möchte Pistor nicht allzu viel sagen. „Wir arbeiten an dem Fall“, sagt er, „aber bis zu einem Urteil kann es sicherlich noch einige Wochen dauern.“

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwei Privatpersonen als Täter, der DFB- Kontrollausschuss gegen den ausrichtenden Verein der betroffenen Bundesligaspiele, die TSG Hoffenheim. Aus der DFB-Zentrale werden Telefonanrufe zu diesem Thema freundlich abgewehrt, bitte schreiben Sie doch eine E-Mail, heißt es von dort. Und auf eine E-Mail hin erhält man die Antwort: Kein Kommentar während eines laufenden Verfahrens! Aber was hat die TSG als Strafe zu erwarten? – Kein Kommentar!

Ernst Tanner, Manager der TSG Hoffenheim, hat nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund gesagt: „Wir haben offensichtlich gegen Statuten verstoßen. Deshalb ist es denkbar, dass wir eine Geldstrafe kriegen. Das wäre das vernünftige Maß.“ Doch wäre es das wirklich? Der FC St. Pauli wurde zum Beispiel in der vergangenen Saison wegen eines Becherwurfs eines Einzelnen mit einer Platzsperre belegt. Was müsste also nach einem vernünftigen Maß den Hoffenheimern drohen, die in ihrem Stadion weitaus mehr kriminelle Energie beherbergten als nur einen Becherwerfer, der sich spontan und einmalig zu einer Dummheit hinreißen ließ? Zwangsabstieg?

Zumindest scheint das Verhältnis zwischen Verband und Verein von den laufenden Untersuchungen nicht belastet zu sein. Denn erst vor ein paar Wochen wurde bekannt gegeben, dass die deutsche Nationalmannschaft ihre EM-Vorbereitung in einem südfranzösischen Hotel absolvieren wird, das Dietmar Hopp gehört. Hätte man nicht erst zu einem Urteil kommen sollen, bevor man wieder gemeinsam Geschäfte macht? – Kein Kommentar!

Und in Hoffenheim? Nimmt alles seinen gewohnten Gang. Sogar für den Hausmeister, der von Vereinsseite kein Stadionverbot, keine Beurlaubung, keine Strafe bekam. Alles wie immer. Und so müssen auch Schmähgesänge von Gästefans im Kraichgau wieder ertragen werden – wie in jener Zeit, als noch niemand etwas von Schallkanonen gehört hatte.

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