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Sport: Lass die Wirklichkeit nicht überholen

Klinsmanns Nationalteam will die Skeptiker im Land von seinem Stil überzeugen – dafür muss wohl der Pokalsieg her

Berlin- Im Juli des Jahres 1999 geisterte ein Satz von Egidius Braun durch die mexikanischen Zeitungen. „Die Teilnahme an diesem Cup ist das größte Opfer in der Verbandsgeschichte.“ Der damalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wollte das nicht als Kritik am Gastgeberland des Konföderationen-Pokals verstanden wissen. Damals war die Teilnahme einer DFB-Auswahl nichts anderes als eine Goodwill-Aktion, Deutschland buhlte um die WM 2006. Es galt, die Fifa gnädig zu stimmen. Der Konföderationen-Pokal, der früher König-Fahd-Pokal hieß, war mehr Schein als Sein. Heute aber, sechs Jahre später, hat sich die Interessenslage für den Gastgeber der WM im kommenden Sommer in das Gegenteil verkehrt. Da Deutschland keine Qualifikationsspiele zu bestreiten hat, ist dieses Turnier so ungemein wichtig. Für Jürgen Klinsmann und seine Mannschaft simuliert es den Ernstfall.

Die Bilanz des neuen Bundestrainers ist durchweg positiv. Von elf Spielen unter Klinsmann gewann die deutsche Fußballnationalmannschaft sieben, drei Spiele endeten unentschieden, ein Spiel ging verloren (Südkorea). „Die Entwicklung dieser Mannschaft ist gut, es wachsen Talente heran“, sagt Klinsmann wenige Tage vor dem Auftaktspiel der Deutschen am Mittwoch gegen Australien. „Wir werden beobachtet und erarbeiten uns Schritt für Schritt mehr Respekt. Das wollen wir jetzt unterstreichen.“ Und als würde er eine Bestätigung seiner Ansicht benötigen, führt der 40-Jährige seinen brasilianischen Berufskollegen und Freund Carlos Alberto Parreira an. Der habe ihm, so Klinsmann, gesagt: „Da ist was im Kommen.“ Das allerdings war im vorigen September, als die deutsche Elf dem fünfmaligen Weltmeister in Berlin ein 1:1 abtrotzte. Neben dem 2:2 gegen Argentinien in diesem Frühjahr war es die bisher beste Leistung, die eine deutsche Elf seit dem WM-Finale 2002 abgeliefert hat. Mittlerweile hat Klinsmanns uneingeschränkter Optimismus sich ein wenig der Realität genähert. Nach dem 2:2 am vergangenen Mittwoch gegen Russland, sagte Klinsmann erstmals: „Vor uns liegt ein langer Weg, wir haben noch viel zu tun.“

Kurz vor dem Konföderationen-Pokal spürt der Wahl-Kalifornier, dass die Entwicklung der Mannschaft nicht von den Ergebnissen abzukoppeln ist. Der Drang zur Offensive, die engagierte Spielweise, die Unbekümmertheit von Spielern wie Schweinsteiger und Podolski, das alles ist gut und schön anzusehen und lässt Gerhard Meyer-Vorfelder zu der Ansicht gelangen, dass sich die Mannschaft „gegenüber der EM in Portugal erheblich verbessert hat“. Was aber ist mit dem Stellungsspiel in der Defensive, mit der Zuordnung in der Abwehrkette? „Das Problem ist, dass da einer fehlt, der den Laden zusammenhält“, sagt Franz Beckenbauer, „die Abwehr ist zu jung, hat zu wenig Erfahrung.“ Ähnlich sieht es Oliver Kahn, ein Verfechter einer defensiven Spielweise. Klinsmann gebe vielen jungen Spielern eine Chance, aber „letztlich ist alles abhängig von der individuellen Klasse dieser Spieler“, sagt Kahn. Erfolge seien ersatzlos wichtig für die Entwicklung der Spieler. „Deshalb haben wir uns vorgenommen, diesen Cup zu gewinnen.“ Für den Torwart ist das Turnier zwar nicht annähernd vergleichbar mit einer WM, „aber es ist ein wichtiger Meilenstein, sportlich wie innerbetrieblich. Man wird sehen, auf wen man zählen kann“. Bei einem positiven Verlauf rechnet Kahn mit einem „ordentlichen Schub für die jungen Spieler. Das verleiht Selbstvertrauen und ist gut für die Stimmung bis hin zur Weltmeisterschaft“.

Jeder Spieler werde seine Erfahrungen machen. „Vielleicht gibt es ja Reibereien“, sagt Kapitän Michael Ballack, aber „wenn wir mit einem Sieg starten, kann das Turnier auch zum Selbstläufer werden. Wir müssen sehen, dass dieses kleine, komprimierte Turnier für uns die WM simuliert. Wir können und müssen sportlich und als Mannschaft wachsen.“

Die ersten beiden Gegner der deutschen Elf, Ozeanien-Meister Australien und Afrika-Meister Tunesien, sind schlagbar. Dann geht es gegen Argentinien, das gerade Brasilien souverän besiegt hat. „Ich halte es für realistisch, dass wir unter die ersten zwei kommen“, sagt Gerhard Meyer-Vorfelder. Jürgen Klinsmann aber will mehr: „Wir wollen den Cup natürlich gewinnen und nächstes Jahr in die Weltmeisterschaft mit breiter Brust gehen.“

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