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Sport: Legitime Körperverletzung

Nach der Attacke auf Cech diskutiert England über die Sicherheit der Torhüter

Große Chancen hatte sich Henrique Hilario Alves Sampaio an der Themse eigentlich nicht ausgerechnet, vielleicht war das Teil der Attraktion. Als dritter Torwart des FC Chelsea hinter Petr Cech und Carlo Cudicini, die bis zu den sensationellen Vorstellungen von Jens Lehmann in der vergangenen Saison als die beiden besten Keeper der Premier League galten, stand ihm bestenfalls die eine oder andere Partie im Ligapokal und ansonsten viel Freizeit in Aussicht. „Ich will unserem Trainer José Mourinho das Leben so schwer wie möglich machen“, sagte der 30-Jährige bei seiner Vorstellung beim Englischen Meister im Sommer. Dabei lächelte der Portugiese verlegen. Hilario glaubte selber nicht daran. Ein sehr einfaches Leben für ihn – das schien realistischer. London kann ja sehr schön sein.

Der englische Fußball aber will nicht schön sein. Das Spiel wird unter dem Einfluss der ausländischen Trainer und Spieler immer technischer und feiner, dagegen regt sich ab und an gewaltiger, nein: gewalttätiger Widerstand. Am Samstag trat beispielsweise Andy Hunt vom FC Reading beherzt für die alten Werte ein – und Chelseas Keeper Cech mit dem Knie aus vollem Lauf gegen den Kopf. Der Tscheche musste mit einem Schädelbruch ausgewechselt werden, die Ärzte setzten ihm zwei Metallplatten ein, wahrscheinlich muss er ein Jahr pausieren. „Es sah im Fernsehen so aus, als ob Hunt Petr umbringen wollte“, sagte Libuse Cechova, die wütende Mutter des Opfers. Auch Mourinho unterstellte Absicht: „Der Junge wusste, was er tut, und als er sah, was er getan hatte, hat er gelacht. Das war verantwortungslos.“

Hunt hat seine Unschuld beteuert und einen Brief an Cech geschrieben, in dem er ihm eine schnelle Genesung wünscht. Vom Schiedsrichter wurde er nicht belangt, für ihn war es eine unglückliche Kollision. Genau wie für ein halbes Bataillon von Gurus und Ex-Gurus des englischen Fußballs, das höchstens ein clumsy tackle, eine ungeschickte, aber durchaus legitime Attacke gesehen haben will. In England glaubt man, dass ein Stürmer grundsätzlich „das Recht“ hat, einen Torhüter hart anzugehen; Verletzungen sind hinzunehmen, solange keine ausdrückliche Absicht vorliegt. Vorsatz oder Pech: Dass Körperverletzung auch fahrlässig sein kann, hat sich in der Liga noch nicht herumgesprochen. Jens Lehmann, der am Dienstag ausdrücklich warnte, dass über kurz oder lang ein Torwart „im Rollstuhl“ enden könnte, falls sich die Regelauslegung nicht gravierend ändert, wird als kontinentaler Spinner abgetan.

Weil auch noch Cudicini, Chelseas Nummer zwei, in Reading nach einem (in der Tat unglücklichen) Zusammenstoß mit einer Gehirnerschütterung vom Platz musste und ausfällt, rückt beim Champions-League-Heimspiel heute gegen den FC Barcelona Hilario in den Blickpunkt. Kann er mit dem Druck umgehen? Man hört Widersprüchliches von ihm. „Ich bin bereit für diese Herausforderung“, sagt er, „ich will diese Chance nutzen und mir ist es egal, dass es gegen unseren größten Rivalen geht“. Im nächsten Satz gibt er zu, „noch nicht in Bestform“ zu sein. Barcelonas Stars wie Ronaldinho, Messi und Deco werden das mit Interesse hören.

Hilario machte in der Vorbereitung nicht den sichersten Eindruck, nach zwei Jahren beim Provinzklub CD Nacional wirkt er zu langsam. In England erzählt man sich, dass der frühere U-21-Nationaltorwart seine Chance auf den Durchbruch 1997 vermasselte, als er mit dem FC Porto 0:4 bei Manchester United verlor und zwei Tore verschuldete. Das stimmt nicht ganz. Drei Jahre später unterlag er mit seinem Team im Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Bayern und spielte passabel. Sorgen um seine Gesundheit muss er sich heute nicht machen. Von den katalanischen Schönspielern sind keine rüden Attacken auf den Torwart im Fünfmeterraum zu erwarten.

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