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Semenya

© ddp

Leichtahletik-WM: Caster Semenya - ein Goldmädchen?

Auch in Südafrika wird Weltmeisterin Semenya oft für einen Mann gehalten. Viele aber werten den angeordneten Geschlechtstest als Rassismus.

Eigentlich hätte der Triumph von Caster Semenya beim 800-Meter-Lauf der Frauen am Mittwoch der schönste Moment ihres Lebens sein sollen. Doch dann kam alles ganz anders: Entnervt von den endlosen Spekulationen über ihr männliches Aussehen war die 18-Jährige fest entschlossen gewesen, die Siegerehrung zu boykottieren und die Annahme der Goldmedaille zu verweigern. Erst in letzter Minute konnte die Läuferin umgestimmt werden. „Sie schluchzte, niemand habe ihr gesagt, dass sie angeblich kein Mädchen sei“, erzählte Leonard Chuene, der Präsident des südafrikanischen Leichtathletikverbandes. „Und sie fragte mich: Warum habt ihr mich hierhergebracht und nicht in meinem Heimatdorf gelassen?“

In ihrer Heimat, die den WM-Titel am Mittwoch begeistert gefeiert hatte, bescherte die Kontroverse über ihr Geschlecht Semenya einen weiteren Sympathiebonus. Die nicht mit Medaillen verwöhnte Nation steht geschlossen hinter der jungen Südafrikanerin, die an der Universität von Pretoria Sportwissenschaften studiert. Nun will sich der Kap-Staat offiziell bei der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen beschweren. Das kündigte der Vorsitzende des sportpolitischen Ausschusses im südafrikanischen Parlament, Butana Komphela, an. Denn der vom Weltverband (IAAF) angeordnete Geschlechtstest untergrabe Semenyas „Rechte und Privatsphäre“.

Überraschend ist die Entrüstung nicht: Seit dem Ende der Apartheid ist man am Kap mit Rassismusvorwürfen gegen den Rest der Welt schnell bei der Hand. So wird fast jede Kritik an der von Schwarzen geführten Regierung damit abgetan, dass Schwarzen jedweder Erfolg vom Westen missgönnt wird. Genau so ist es jetzt bei den gegen Semenya angeführten Bedenken. Dabei wird dieser Vorwurf schon durch die Begeisterung entkräftet, die den schwarzen Sprintern aus der Karibik in Berlin entgegenschlägt. Heikel ist der Fall Semenya vor allem deshalb, weil hier ein möglicher Gendefekt und die Diskriminierung einer schwarzen Athletin eng verwoben sind.

Symptomatisch für die Empfindsamkeit ist die Reaktion der South African Football Players Union, die hinter dem Geschlechtstest sofort „Hintergedanken“ witterte. „Warum hat der IAAF von allen weiblichen Athleten nur Semenya im Visier?“, fragte man dort empört – und lieferte die Antwort gleich mit: „Es zeigt, dass die imperialistischen Länder nicht akzeptieren können, dass auch Afrika Talente hat.“ Einige Staaten hätten eine „rassisch geprägte Agenda gegenüber Südafrika“, ereiferte sich die Organisation.

Etwas nachsichtiger fällt die Kritik des südafrikanischen Leichtathletikverbandes aus: Sein Präsident Leonard Chuene kritisiert, dass Semenya durch die Geschlechtsüberprüfung „schwer gedemütigt“ worden und wie eine Aussätzige behandelt worden sei. Etwas verspätet hat sich auch der Afrikanische Nationalkongress (ANC), Südafrikas Regierungspartei, zu Wort gemeldet. Schließlich könnte gerade der ANC angesichts der gegenwärtigen Streikwelle am Kap im Vorfeld der Fußball-WM 2010 dringend ein paar positive Nachrichten brauchen. Gestern rief die Regierung alle Südafrikaner auf, die Reihen um „unser Goldmädchen“ zu schließen. „Wir verurteilen die Motive derer, die wegen ihres Aussehens und Laufstils ihr Geschlecht hinterfragen“, heißt es in der Erklärung des ANC.

Immer wieder zeigte das Fernsehen auch gestern noch Semenyas grandiosen Lauf und die Siegerehrung. Gänzlich ungetrübt ist die Freude über den sensationellen Sieg aber auch in Südafrika nicht. Bei allem Patriotismus glauben einige, dass im Olympiastadion nicht alles mit rechten Dingen zuging. Verantwortlich für die Zweifel ist vor allem der geradezu kometenhafte Aufstieg Semenyas, die binnen weniger Wochen quasi aus dem sportlichen Nichts in die Weltspitze lief. Erst im letzten Monat hatte sie bei den African Junior Championships in Mauritius eine persönliche Bestzeit über 800 Meter erreicht, die unfassbare acht Sekunden besser war als im Vorjahr. Ebenso verblüffte viele Südafrikaner, mit welch riesigem Vorsprung Semenya am Mittwoch ins Ziel lief.

Indirekt hat inzwischen jedoch sogar Semenyas Trainer Michael Seme die Gerüchte über seinen Schützling genährt, etwa als er offenherzig erzählte, dass die Läuferin auch am Kap wegen ihres Aussehens immer wieder für einen Mann gehalten werde. So werde Semenya oft beim Training gefragt, ob sie ein Junge oder ein Mädchen sei.

Die größte Unterstützung erhielt Südafrikas neue Mittelstreckenhoffnung naturgemäß von der eigenen Familie in der Nordprovinz Limpopo, nahe der Grenze zu Simbabwe. „Mein Mädchen ist kein Mann“, empörte sich dort Mutter Dorcus. Großmutter Maphuthi Sekgala, bei der die Läuferin aufwuchs, pflichtete ihr in einem Interview mit der Johannesburger „Times“ uneingeschränkt bei. Die 80-Jährige ist überzeugt, dass die Vorwürfe auf purem Neid gründen. Semenya sei bereits früh in ihrer Kindheit wegen ihres jungenhaften Aussehens geneckt worden – und habe auch als einziges Mädchen im Fußballteam des Dorfes gespielt, sagte die Großmutter. „Ihr einziges Vergehen liegt darin, dass sie so geboren wurde, wie sie ist.“

Semenya wollte Gold ablehnen – aus Protest gegen

die Vorwürfe, sie sei ein Mann

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