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© DPA

Leichtathletik: Der Mensch im Star

Robert Hering lief gegen Usain Bolt. Heute merkt man ihm an, wie sehr ihn dieses Rennen geprägt hat.

Am Start trennen sie wenige Meter. Vier blaue Bahnen ganz genau. 200 Meter später sind es dann 44 Hundertstelsekunden. So viel schneller als Robert Hering kommt Usain Bolt ins Ziel gejoggt – selbstverständlich als Erster. Für den jamaikanischen Sprintstar ist dieses Rennen nur eines von vielen, das 200-Meter-Halbfinale der Leichtathletik-WM nur Aufwärmtraining für Teil zwei der Usain-Bolt-Show im Berliner Olympiastadion, die am Tag darauf erneut im Weltrekord münden soll. Für Robert Hering indes ist dies der größte Auftritt seiner jungen Karriere. 20,52 Sekunden läuft der 19-Jährige und scheidet als Fünfter aus, ganz knapp.

Natürlich ist er zufrieden. Wer dem in Hermsdorf aufgewachsenen Schüler zu Saisonbeginn prognostiziert hätte, dass er im Sommer gegen den schnellsten Mann der Welt laufen würde, dem hätte er psychologische Betreuung empfohlen. Dennoch. Bei den deutschen Meisterschaften in Ulm, wo Hering überraschend die 200 Meter gewonnen hatte, war er 20,41 Sekunden gelaufen. In Berlin hätte das fürs Finale gereicht. Nur sieben Hundertstel fehlten für Platz vier. „Als ich mir den Lauf noch einmal angesehen habe, habe ich mich gefragt, warum ich nicht drangeblieben bin“, erzählt Hering heute, vier Monate nach seinem vorläufigen Höhepunkt.

Im Sportforum Jena erinnert nichts mehr an die Fragmente des Ruhms, an denen der 19-Jährige im August schnuppern durfte. „Die Bedingungen sind zurzeit richtig scheiße“, sagt Hering, der hier die elfte Klasse des Sportgymnasiums besucht. „So kann man eigentlich keinen Leistungssport machen.“ Die baufällige Laufhalle wurde im Sommer abgerissen; wann es eine neue geben wird, kann niemand genau sagen. Was für Hering und seinen Trainer Stefan Poser bleibt, ist die herkömmliche Turnhalle. Pechschwarz ist die improvisierte Laufbahn hier und nur knapp 30 Meter lang. Für Start, Antritt und Krafttraining ist das in Ordnung, aber um eine lange Bahn zu haben, müssen sie zwei bis dreimal pro Woche nach Erfurt fahren. „Wir sind ständig auf der Flucht“, sagt der Trainer.

Vielleicht tragen auch diese schwierigen Umstände dazu bei, dass Robert Hering nicht abgehoben ist nach dem Medienrummel, der Fanpost und den Menschen, die ihn seit der Leichtathletik-WM in Berlin auf der Straße erkennen. Alle wollen wissen, wie es für den Schüler aus Jena war, gegen den weltbesten Sprinter zu laufen. Hering aber sieht das ganz nüchtern: „Ich muss ehrlich sagen: Er ist nur ein Mensch, ein Leichtathlet wie ich auch.“ Respekt vor der Leistung hat er, aber ein Vorbild ist dieser Usain Bolt für ihn nicht.

Dieser schillernde Star aus Jamaika, den einige aufgrund seiner kaum glaublichen Fabelzeiten wie einen Heiligen verehren, während andere dessen Gehabe verabscheuen und als Respektlosigkeit ansehen. Weil sich Bolt kaum aufwärmt und sich unmittelbar nach dem Weltrekord den Bauch bei einer bekannten Fastfood-Kette vollschlägt. „Fairplay sieht anders aus“, echauffierte sich etwa der deutsche Stefan Schwab nach seinem Vorrundenaus über 100 Meter in Berlin. Robert Hering sieht das anders: „Er ist halt ziemlich locker, lässt sich von niemandem beirren. Das versuche ich auch.“

Also doch ein Vorbild? In Sachen Lockerheit bestimmt. Im Olympiastadion gab sich Robert Hering bei der WM schon beinahe so cool wie der Jamaikaner. Ein selbstbewusster Blick in die Kamera, ein paar Mätzchen, das Anklatschen der Zuschauer – all das kam spontan, als hätte der 19-Jährige in seinem Leben nie etwas anderes gemacht. „Das war mein kleines Finale und meine Bühne“, sagt Hering heute grinsend. „Nicht die von Usain Bolt.“ Im Gegensatz zu jenen, die sich heimlich eine positive Dopingprobe des Superstars wünschen, um die unrechtmäßige Entstehung der unbegreiflichen Weltrekorde zu beweisen, hofft Hering, dass dieser Tag niemals kommen wird. „Es wäre einfach nur zu schade“, sagt er, der trotz allen Redens um eine verseuchte Sportart glaubt, dass es auch ohne Doping geht.

Man merkt es Robert Hering an, als er so dasitzt auf einer Turnbank in seinem Jenaer Trainingsprovisorium, wie sehr ihn dieser große Auftritt in Berlin geprägt hat. Je größer die Bühne desto wohler fühlt er sich – das verbindet ihn mit Usain Bolt. „Die ganze Atmosphäre und das Publikum in Berlin waren großartig“, erzählt Hering begeistert.

Ehrgeizig ist der junge Mann, verbissen aber erscheint er nicht. In zwei Jahren will er sein Abitur machen, er ist Sänger und Songwriter einer Rockband und genehmigt sich gern mit seinen Bandkollegen einige Biere. Gleichzeitig ist sein großes Ziel, bei den Olympischen Spielen 2012 der schnellste weiße Läufer zu werden. Und irgendwann vielleicht einmal Europameister. Auf dem Weg dahin werden ihm die Erinnerungen an 2009 nicht schaden, die Erinnerungen an seinen Lauf gegen den schnellsten Sprinter aller Zeiten.

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