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Sport: Leichtathletik: Zu vieles läuft nach Altväter-Art

Ulrich Hobeck ist empört. "Das muss man sich vorstellen.

Ulrich Hobeck ist empört. "Das muss man sich vorstellen. Wir bieten ein Topereignis in der olympischen Sportart Nummer eins und sollen noch 60 000 Mark fürs Fernsehen draufzahlen." Hobeck, einst DDR-Meister im 3000-m-Hindernislauf und heute Schulleiter in Cottbus, widmet wochenlang seine Freizeit als Chef dem Lausitzer Leichtathletik-Meeting. Am 18. Juli wird dessen zwölften Auflage über die Bühne gehen. "Mit einem Etat von etwa 300 000 Mark, damit sind wir eigentlich schon unter dem Level für solch ein Ereignis."

Damit ist das Budget zu Vorjahren um mehr als 100 000 Mark geschrumpft. Aber was soll er machen, wenn sich vor der Haustür so viele Sportarten um Sponsoren balgen: die Fußballer vom FC Energie, die Turner, Radsportler, Boxer und der Zweitligist im Handball. "Da ist es wahnsinnig schwer, einen Sponsor zu behalten oder gar neu ins Boot zu holen." Mit einem Leichtathletik-Sportfest müsse man, so räumt er ein, eher "dorthin gehen, wo es nichts anderes gibt". Er denkt an Dessau in Sachsen-Anhalt, wo ein Sportfest mit einem Etat von rund 500 000 Mark erfolgreich inszeniert wurde.

Doch der Kampf um Anteile aus dem Sponsorentopf ist nur ein Beispiel von Hobecks Problemen. Da gibt es Athleten, die angeblich noch auf ihr Startgeld vom Jahr 2000 warten. Da sind Forderungen des Finanzamtes nach jenen 26,75 Prozent Steuern, die noch für die ausländischen Starter abzuführen sind. Da sind die 5000 Mark, die als "Verwaltungskosten" an den Leichtathletik-Landesverband Brandenburg zu entrichten sind. Je nach Status sind bis zu 20 000 Mark (bei Grand-Prix-Sportfesten) an den DLV zu zahlen. Und da sind die Manager, die - weil sie mitverdienen - auf dem "marktüblichen Preisgeld" beharren, wenn Hobeck finanzielle Engpässe andeutet. Und da kommt die für ihn ungeheuerliche Forderung vom Ostdeutschen Rundfunk (ORB), er möge, bitteschön, 60 000 Mark für die Produktionskosten überweisen, wenn der ORB etwas vom wichtigsten Sportfest Brandenburgs senden solle. Hobeck hat dies auf 40 000 Mark drücken können, und er will das Fernsehen "aus Imagegründen und für die Sponsoren".

Das Thema Fernsehen taucht in allen Diskussion zum "Niedergang der deutschen Meeting-Kultur" auf. Denn andere Veranstalter haben ähnliche Sorgen wie Cottbus. "Die Leichtathletik hat mittlerweile beim Fernsehen einen Status wie Tischtennis und Handball erreicht, die dafür zahlen, dass von ihren Ereignissen berichtet wird", sagt Ludwig Franz. Der Nürnberger ist Direktor des dort ansässigen Sportfestes, das hinter dem Berliner Istaf das hochkarätigste in Deutschland geworden ist. Franz ist zugleich der Vorsitzende der German Meetings, einem Verbund von 22 Sportfesten in Deutschland. Und er weiß, dass die Klimmzüge in Cottbus kein spezifisch ostdeutsches Phänomen sind. "Rehlingen hat fast keine Fernsehzeit bekommen und damit Probleme. In Ingolstadt will Audi 2002 nur dann als Sponsor bleiben, wenn zumindest Bayern 3 überträgt." Kassel kam mit seinem Meeting ins Schleudern, weil Eurosport die Zusage zurückzog. Auch die Situation der Sportfeste in Cuxhaven und Hamburg, wirtschaftlich wesentlich stärker als Cottbus, sei problematisch, "weil sie finanzielle Sorgen haben".

Franz kann sich noch an anderes erinnern. Als ARD/ZDF die Leichtathletik noch als öffentlich-rechtliches Anliegen sahen. Oder an die Zeit, als das DSF mehr Geld für die Rechte bot, "und wir 900 000 Mark aufteilen konnten - egal, ob das DSF übertrug oder nicht". Doch dann stiegen Mitte der 90-er Jahre die Veranstalter aus, "weil einige glaubten, mit einer separaten TV-Vermarktung noch mehr Geld zu erhalten. Das habe sich jedoch "als Trugschluss" erwiesen. Heute sind die TV-Einnahmen drastisch gesunken. Und das macht nicht einmal vor dem Istaf Halt, das noch im vergangenen Jahr 400 000 Mark von ARD und ZDF erhielt, in diesem Jahr aber noch keinen Fernsehvertrag hat. Es ist sogar gut möglich, dass die Veranstalter froh sein können, wenn sie sich an den Produktionskosten nicht beteiligen müssen. Zunehmend nämlich muss sogar gezahlt werden, damit das Fernsehen anrückt. Um das kostengünstig zu gestalten, hatte Franz die Idee, dass sieben Veranstalter eines Diamonds-Cups die TV-Produktion selbst in die Hände nehmen und diese auf dem Markt verkaufen. Doch drei Teilnehmern war der Beitrag von jeweils 20 000 Mark zu viel: Jena, Cottbus und Ingolstadt. So platzte die TV-Selbstvermarktung.

Ein teuflischer Kreislauf ist dafür verantwortlich, warum man um das Erscheinen der TV-Übertragungswagen so buhlt: Wenn das Fernsehen nicht da ist, werden Sponsoren wankelmütig oder passen. Passiert das, hat der Meeting-Direktor weniger Geld und weniger Topstars am Start. Sind die nicht da, winkt das Fernsehen ab. Eine Spirale, an dessen Schluss oft das Ende steht. Wie das beerdigte Kölner Sportfest, jenes in Koblenz, in Chemnitz oder das Springermeeting in der Schöneberger Sporthalle.

Es wäre jedoch verfehlt, die negative Entwicklung nur hartherzigen Managern oder dem quotensüchtigen Fernsehen anzulasten. "Ich predige meinen Athleten, dass sie eine Verantwortung dafür haben, dass die Sportfeste nicht sterben", sagt Manager Helmut Ebert aus Schmölln bei Leipzig. So versuche er, seinen Schützlingen klar zu machen, dass man in Dessau oder Kassel nicht den gleichen Preis fordern könne wie in Zürich oder Paris. Was andere Manager "leider tun". Und dass Auftritte in der heimischen Region für den Bestand der Leichtathletik wichtig seien, "deshalb fand ich es nicht gut, dass Olympiasieger Nils Schumann in seiner thüringischen Heimat in Jena nicht antrat, zwei Tage später aber in Hengelo lief."

Ebert sieht eine dringende Notwendigkeit, die Leichtathletik "attraktiver zu verkaufen". Für die Interessenten im Stadion und an den Bildschirmen: "Wir brauchen keine Dreieinhalb-Stunden-Meetings mit Pausen und langweiligen Vorkämpfen. Es sollte maximal 90 Minuten dauern, ohne langatmige Vorstellungen, statt 20 höchstens 12 bis 14 Disziplinen, spannende Duelle und mit den deutschen Topathleten. Die Zuschauer wollten Sieger sehen, mit denen sie sich identifizieren." Wie schwer es mitunter ist, attraktive Neuerungen einzubringen, hat Istaf-Direktor Stephane Franke erfahren. Angesichts von vier deutschen Speerwerfern erster Klasse wollte Franke diesmal einen "Kampf Mann gegen Mann" mit Viertel- und Halbfinale vor dem Finale kreieren. Doch die Vorgaben des Weltverbandes für ein wie gewohnt dahinplätschernden Geschehen ließen sich nicht aushebeln. Veranstalter Ludwig Franz plädiert daher generell für eine Abkehr von Sportfesten "nach Altväter-Art" und hat ähnliche Ansätze wie Ebert: "Es muss aufhören, dass ein normaler Besucher bei vier oder fünf laufenden Wettbewerben gar nicht weiß, wo er zuerst hinschauen soll." Im nächsten Jahr will er sein Meeting mit einem "volksfestartigen Umfeld" attraktiver gestalten. "Wir Veranstalter müssen gemeinsam mit dem DLV nach Wegen suchen, um den Popularitätsschwund zu stoppen." Der Topmanager Jos Hermens sieht in den Verbänden zu viele "Bürokraten und Beamte" und fordert mehr PR- und Marketingfachleute. Und er hält es für verheerend, dass die Golden League in Deutschland ins Pay-TV verschwunden ist: "Das ist unglaublich."

Ernst Podeswa

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