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Leichtathletik: Zurück im Licht

Vor Beginn der Leichtathletik-WM in Berlin schöpft das deutsche Team Hoffnung. Die letzten Wettbewerbe haben gezeigt, dass die Deutschen nicht nur werfen können.

Peking? Liegt weit weg und lange zurück. Turin! London! Die sind den deutschen Leichtathleten viel näher. Denn seit den Hallen-Europameisterschaften in Turin und dem London-Marathon haben sie den Glauben daran zurückgefunden, dass sie noch gewinnen können. „Peking war eine zeitlang fast traumatisch“, sagt Cheftrainer Herbert Czingon, mit einer Bronzemedaille waren die deutschen Leichtathleten von den Olympischen Spielen nach Hause gekommen. Jetzt aber sind sie auf einmal wieder wettbewerbsfähig.

Ihr Aufschwung kommt zur rechten Zeit, vor Beginn der Weltmeisterschaften im Berliner Olympiastadion. Am 15. August wird der erste Kugelstoßer um 10.05 Uhr den Ring betreten und seinen ersten Versuch in der Qualifikation unternehmen. Gut möglich, dass auch ein Deutscher dann um die Medaillen mitkämpft, vielleicht der Neubrandenburger Ralf Bartels. Er könnte den Anfang machen für eine erfolgreiche Weltmeisterschaft, die die Deutschen nicht nur mit der Leichtathletik versöhnt, sondern sie für sie neu begeistert.

Denn wenn die vergangenen Wochen eines gezeigt haben, dann die erfreuliche Entwicklung, dass die deutschen Athleten nicht nur werfen können. Fast waren sie in den vergangenen Jahren ein bisschen belächelt worden als die Wegwerfnation, Hammer, Kugeln, Speere und Disken gingen den Deutschen bestens von der Hand, aber meist sprangen sie zu kurz und zu flach und vor allem liefen sie zu langsam. Bei den Hallen-Europameisterschaften sprang nun auf einmal Sebastian Bayer 8,71 Meter, mit einem Satz war er in die Nähe des Amerikaners Bob Beamon gekommen. Bayer erzählt nun: „Ich würde gerne in meiner Karriere ein Stück Weitsprung-Geschichte schreiben.“ Welcher deutsche Athlet hätte das nach Peking von sich und in seiner Disziplin so selbstbewusst behaupten wollen?

Aus der zwischenzeitlichen Werfernation ist nun mindestens wieder eine Werfer- und Springernation geworden. Mit Sebastian Bayer und der Hochspringerin Ariane Friedrich an der Spitze, Friedrich gewann in Turin ebenfalls die Goldmedaille. Starke Nerven hatte sie auch noch, denn beim Einspringen legte sie die Latte so hoch auf, auf 1,90 Meter und 1,95 Meter, dass ihre Konkurrentin Blanka Vlasic aus Kroatien verkrampfte und weit hinter ihr landete. Dazu kommen die Stabhochspringer bei den Männern und – auch das ist neu – bei den Frauen. Silke Spiegelburg hatte in Turin mit neuem deutschen Hallenrekord von 4,75 Meter die Silbermedaille gewonnen. „Turin war eine Erlösung, ein Quantensprung“, sagt Czingon.

Selbst beim Laufen, wo die Deutschen das Feld immer davonziehen sahen, gibt es eine Medaillenkandidatin, Irina Mikitenko. Schon zum zweiten Mal gewann sie jetzt den ausgezeichnet besetzten London-Marathon. Das alles führt in der deutschen Nationalmannschaft zur Einstellung, „dass wir die WM als Chance, nicht als Bedrohung ansehen“, sagt Czingon.

Wenn es nach Jürgen Mallow, dem Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes geht, hat daran nie ein Zweifel bestanden. „Ich weiß nicht, ob das richtig angekommen ist, aber die deutsche Leichtathletik zeigt schon seit Jahren gute Leistungen“, sagt er. Peking sei nur ein Ausrutscher gewesen, für den es allenfalls ein paar schwache Erklärungsansätze gebe. „Auch 100 Tage vor der WM sind wir deshalb optimistisch, die Stimmung in der Mannschaft wird immer bessert,“ sagt Mallow, und auf einmal scheint der Medaillenwunsch des Verbandes gar nicht mehr so unrealistisch, nach fünf Medaillen bei der WM 2005 und sieben 2007 in diesem Jahr neun Medaillen zu gewinnen.

Was dafür passieren muss? Erst einmal ein intensives Kräftemessen mit den Besten der Welt. „Wir müssen den internationalen Vergleich suchen“, fordert Cheftrainer Czingon die deutschen Athleten auf, „das kann auch mal unbequem sein, wenn man nur für einen Fahrtkostenzuschuss irgendwo hinreist.“ Aber die Erfahrung, gegen die härtesten Konkurrenten anzutreten sei wichtiger als das Preisgeld – und selbst als das Ergebnis.

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