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Sport: Lernen auf der Baustelle

Wie sich das neue BMW-Team auf seine erste Formel-1-Saison vorbereitet

Wieder wird eine Gruppe Mechaniker von der Tür verschluckt. Ungeduldig drängen sie in den Konferenzraum, ein paar Minuten später werden sie ihn frisch instruiert und neu eingekleidet verlassen. „Die bekommen alle neue Kutten“, sagt Jörg Kottmeier, der Sprecher von BMW Motorsport. Die neue Arbeitskleidung der BMW-Mitarbeiter unterscheidet sich nicht groß von der alten, mit einem Unterschied: Der Name Williams ist verschwunden. Sechs Jahre lang hat der Münchner Autohersteller mit dem englischen Rennstall in der Formel 1 kooperiert, nach dieser Saison trennten sich die beiden Partner auf recht unfreundliche Art. Sie hatten den angestrebten Titel nicht errungen. In der kommenden Saison wird BMW mit einem eigenen Formel-1-Team an den Start gehen. Eine neue Zeit hat begonnen in der BMW-Motorsport-Zentrale in München, und dabei wirkt die reibungsvolle jüngere Vergangenheit nur bremsend.

Mario Theissen hat ohnehin nicht viel Zeit, den Blick zurück zu richten. Der gelernte Ingenieur ist der Architekt des neuen Rennstalls, der offiziell BMW-Sauber heißt. Seit dem Saisonende, als er sich von Williams als „unehrlich“ bezeichnet sah, hat die Arbeit für den BMW-Motorsportdirektor erst richtig begonnen. Jeden Morgen ist er um halb acht in seinem Münchner Büro, „bis Open End“, wie er gähnend hinzufügt. Alle zwei Wochen pendelt er nach Hinwil in der Schweiz. Dort befindet sich der Sitz des Teams Sauber, das BMW im Juni für kolportierte 80 Millionen Euro erworben hat.

In Hinwil wird der frühere Rennstall des Privatiers Peter Sauber mit BMW-Unterstützung für den Titelkampf aufpoliert. Dabei geht es gar nicht so sehr um die technischen Voraussetzungen, denn die sind vorhanden – der Windkanal etwa gehört zu den modernsten überhaupt. „Aber es fehlt die Manpower“, sagt Theissen. „Zum Beispiel hat Sauber kein separates Testteam. Das müssen wir aber haben, wenn wir in dem Maße testen wollen wie die großen Teams.“ Deswegen werden die 280 Mitarbeiter in der Schweiz nun um weitere 100 ergänzt. Darunter sind die Schlüsselpositionen des Aerodynamik-Chefs und des Chef-Designers. Den wichtigsten vakanten Arbeitsplatz erwähnt Theissen nicht: Fragen nach dem neuen Teamchef weicht er mit einem Lächeln aus.

Dieses wissende, aber undurchdringliche Lächeln setzt Theissen auch bei anderen Themen ein. Zum Beispiel bei der Frage nach dem Budget, das sich mit angeblich etwa 200 Millionen Euro im Formel-1-Mittelfeld bewegen soll. Immerhin, das eigene Team soll verglichen mit dem Engagement als Motorenpartner von Williams auf lange Sicht „keinen nennenswerten Mehraufwand“ verursachen.

Am Anfang aber wird investiert. Das neue Team präsentiert sich Ende November als große Parallel-Baustelle. „Wir haben drei Dinge gleichzeitig zu bewältigen“, sagt Theissen. Zusätzlich zur Personalrekrutierung und der Verschmelzung von BMW und Sauber wird der Ausbau des Werks in Hinwil vorangetrieben, der 2007 abgeschlossen sein soll. Nebenbei wird gerade das Auto fürs nächste Jahr entwickelt, gleichzeitig ist ein Interimsmodell mit dem 2005er Chassis und neuem BMW- V8-Motor so gut wie einsatzbereit. „Damit werden wir am 28. November in Barcelona zum ersten Test ausrollen“, sagt Theissen. Das richtige Auto für die kommende Saison, dessen Chassis noch allein von Sauber entwickelt wurde, wird am 16. Januar vorgestellt. Dann wird auch Gewissheit darüber herrschen, wer neben Nick Heidfeld, den Theissen „sehr kollegial und ohne Nachtreten“ von Williams losgeeist hat, der zweite Fahrer ist. In dieser Hinsicht hat BMW eine ungewollte Mitgift von Sauber erhalten: Jacques Villeneuve, von seiner Titelform 1997 weit entfernt, besteht auf seinem Vertrag. Eine Auflösung würde BMW dem Vernehmen nach zwölf Millionen Euro kosten.

Ein Topfahrer wird jedenfalls nicht im zweiten BMW sitzen. „Wer im kommenden Jahr Weltmeister werden will, kann 2006 nicht in unserem Team fahren“, gibt Theissen zu. „2007 sieht das anders aus.“ Das Profil der beiden gesuchten Fahrer für Renn- und Testbetrieb lautet: erfahren und fähig zur Weiterentwicklung eines Autos. Denn 2006 wird ein Lehrjahr werden. In der folgenden Saison sollen sich – obwohl es angeblich keine Zielvorgaben des BMW-Vorstands gibt – mit dem ersten komplett in Eigenregie entwickelten Auto erste Erfolge einstellen.

Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Theissen muss das Zusammenspiel der Standorte München, wo künftig Motor und Getriebe entwickelt werden, und Hinwil koordinieren. Auch wenn er weiter dagegen anlächelt, ist es wahrscheinlich, dass er BMW als Teamchef in die Zukunft auf eigenen Rädern führen wird. Selbst sein früherer Partner Frank Williams zweifelt nicht daran. „Er ist mit Abstand der erfahrenste Mann bei BMW, was die Formel 1 angeht“, sagte Williams. „Es gibt eine Menge Aufgaben im Team zu erledigen – für mich wird da sicher etwas dabei sein“, sagt Mario Theissen und lächelt. Und gähnt.

Christian Hönicke[München]

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