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Live aus dem ELFENBEINTURM: Von Höhepunkt zu Höhepunkt

Was die Bundesliga-Fernsehkonferenz mit einem Pornofilm gemein hat

Rosi zeigt heute mal wieder alles. Alle Spiele. Alle Tore. Direkt und gleichzeitig. Auf Premiere. Live-Konferenz heißt dieses Angebot, das jeden Samstagnachmittag Millionen meist männliche Fans in seinen Bann zieht. In Deutschlands Kneipen ist das Format mittlerweile so dominant, dass es kaum noch möglich ist, vom Tresen aus ein Bundesligaspiel in voller Länge zu verfolgen. Denn Konferenz bedeutet permanenter Spiel- und Stellungswechsel. Ob Tor in Berlin, Elfmeter in Karlsruhe oder Rote Karte in Cottbus, sofort zappt Premiere dahin, wo Entscheidendes geschieht oder geschah.

Zwar hilft die Fingerfertigkeit, mit der Rosi den Decoder programmiert ebenso beim Assoziieren wie die Molchblicke meiner Tresennachbarn (nicht alle konnten ihren Frauen erzählen, was sie gerade treiben), doch auch ohne derartige Milieustützen verfestigt sich bereits nach wenigen Minuten die Ahnung, die Konferenz verhalte sich zum vollständig übertragenen Einzelspiel wie ein Hardcore-Porno zum komplexen Liebesdrama.

Denn gleich der Porno-DVD, die zu Hause vor dem Fernseher umstandslos von Highlight 1 bis 10 durchgeklickt werden kann – um so jede narrative Einbettung des Zielakts zu übergehen – hastet auch die Konferenz von Höhepunkt zu Höhepunkt, ohne sich um die innere Dramaturgie eines Matches kümmern zu wollen. Hauptsache, das Ding ist drin und wir hautnah dabei. Die Kameras der Konferenz transformieren den Fußball zu einer gigantischen Lustmaschine, die den pilstrinkenden Fernsehfan in permanenter Erregung zu halten verspricht.

Ist diese Entwicklung nun schlimm, verwerflich, gar eine Pervertierung des Spiels? Nun, jedenfalls ist sie, schwört Rosi, vom Kunden mittlerweile ausdrücklich gewünscht – und über Begehren lässt sich schwer rechten. Allerdings scheint bei näherer Betrachtung kaum ein Ballsport denkbar, der aus seiner Struktur heraus weniger geeignet wäre, der Porno-Logik des immer neuen Höhepunktes zu entsprechen, als der Fußball. Schließlich handelt es sich um ein Spiel, in dem zu 90 Prozent wenig oder gar nichts geschieht und in dem die Akteure nur im absoluten Ausnahmefall erfolgreich zum Abschluss kommen. Selbst die Konferenz-Inszenierung kann diese Wirklichkeit nicht vollends verdrängen.

All dem ließe sich entgegnen, das Premiere-Format sei im Grunde nichts als die natürliche Fortsetzung der guten alten Radio-Schlusskonferenz mit anderen Mitteln. Doch wer so argumentiert, verleugnet den medialen Abgrund, der das gesprochene Wort vom bewegten Bild trennt. Bleibt der Radiohörer aufgefordert, die immer ungenügenden und zu späten Schilderungen des Reporters mit eigenen Vorstellungsbildern aktiv auszuschmücken, drängt die Fernsehkonferenz den Zuschauer in die passiv-masturbatorische Rolle des erregten Gaffers. Und schließt Luca Toni dann tatsächlich ab, wird das Ereignis von Premiere in Nahaufnahmen und Wiederholungen aus allen Winkeln in den Blick genommen – immer wieder, immer tiefer. Mann kennt das. Anderseits, wen wollte diese ästhetisch-formale Vereinigung von Spiel und Trieb ernsthaft überraschen, wo das Bezahlfernsehen auch wirtschaftlich vor allem auf Porno- und Sportabonnements beruht?

Rosi, machste mir noch ein Pils, bitte?

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