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Sport: Lob der Defensive

Deutsche Hockeyspielerinnen verteidigen stark – wie beim Olympiasieg 2004

Am Ende des Tages sah Tina Bachmann aus wie eine Mischung aus Papa Schlumpf und Dieter Hoeneß anno 1982. Dort, wo normalerweise ihre Frisur sitzt, trug die Abwehrchefin der deutschen Hockey-Nationalmannschaft einen dicken blauen Verband, und darunter verbarg sich „eine Riesenbeule“, wie Kristina Reynolds berichtete. Die deutsche Torhüterin mit englischem Vater war eine glaubwürdige Zeugin: Sie hatte Bachmann in der finalen Abwehrschlacht gegen England ausgiebig aus der Nähe betrachten können, weil sich die letzten zwei Minuten des Halbfinales fast ausschließlich im deutschen Schusskreis abspielten und Bachmann auf eine medizinische Erstversorgung verzichtet hatte. „Es war beeindruckend, wie die Spielerinnen sich in die Bälle und in die Zweikämpfe geworfen haben“, sagte Bundestrainer Michael Behrmann nach dem 2:1-Sieg, der den Deutschen den Einzug ins EM-Finale und die Qualifikation für Olympia 2008 sicherte.

Der Selbstbehauptungswille war vor allem in jener Szene zu beobachten, die Bachmann die Beule am Kopf einbrachte. Zwei Minuten waren noch zu spielen, die Deutschen führten 2:0, und wieder einmal gab es eine Strafecke für die Engländerinnen. Torhüterin Reynolds flog in die richtige Ecke, doch dann griff Tina Bachmann ein: Sie warf sich in den Schuss von Lucilla Wright und wuchtete ihn mit einem Flugkopfball über die Linie. „Das war das erste Kopfballtor des Turniers“, sagte sie hinterher.

Da hatten die Deutschen ihren Witz schon wiedergefunden, am Ende des Halbfinales aber war ihnen gar nicht mehr nach Scherzen zumute gewesen. „Mein Gott!“, stöhnte Behrmann. Nach der regulären Spielzeit bekamen die Engländerinnen noch eine Serie von drei Strafecken zugesprochen. Torhüterin Reynolds musste in diesen Augenblicken an ein anderes deutsch-englisches Duell denken, Bayern gegen Manchester United, 1999 in Barcelona, und sie folgerte daraus, „dass alles noch möglich ist“. Hätten die Engländerinnen den Ausgleich noch geschafft, wären sie wohl als Siegerinnen aus der Verlängerung hervorgegangen.

Reynolds aber wehrte auch den letzten Versuch ab und bestätigte damit die Einschätzung von Bundestrainer Behrmann: „Wir haben zwei Torhüterinnen, um die uns die ganze Welt beneidet, die besten der EM.“ Reynolds hat wie Yvonne Frank zwei Spiele bestritten; wer am Samstag im Finale gegen die Holländerinnen (17.30 Uhr) im Tor steht, wissen die Konkurrentinnen selbst noch nicht. Die Tendenz geht wohl zu Reynolds, obwohl Frank bisher ohne Gegentor geblieben ist. Reynolds kassierte zwei. „Wir verteidigen super“, sagt Bundestrainer Behrmann. Das ganze Team hat den Defensivgedanken verinnerlicht. „Der Zusammenhalt ist echt groß“, sagt Reynolds. „Jeder rennt von vorne mit zurück.“

Im Endspiel trifft die deutsche Verteidigung nun auf die stärkste Offensive der Welt. Holland hat von sieben EM-Turnieren sechs gewonnen, drei davon im Finale gegen Deutschland. Die Deutschen sind Außenseiter, der Olympiasieg 2004 war der einzige große internationale Titel der letzten 25 Jahre. Doch zumindest die Geschichte könnte ihnen Mut machen. Als sie 2004 in Athen Gold holten, gelang ihnen das ebenfalls dank einer überragenden Defensive. Ihr damaliger Gegner weiß bis heute nicht, wie er das Finale 1:2 verlieren konnte. Der Gegner hieß Holland.

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