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Rückgriff auf das Alter. Bundestrainer Joachim Löw nominierte nach einigen Verletzungen seiner Defensivspieler den fast schon ausgemusterten Heiko Westermann nach.

© Archivfoto (2010): dpa

WM-Qualifikation gegen Irland: Löw fehlen die Talente - Comeback für Westermann

Gerade zwei Jahre ist es her, dass dem deutschen Fußball goldene Zeiten vorhergesagt wurden. Nun fehlen die Talente. Bundestrainer Löw sieht strukturelle Defizite in der Ausbildung.

Heiko Westermann weiß, was sich gehört. Und deshalb stellte der Verteidiger vom Hamburger SV sein Mobiltelefon lautlos, als er am Montag mit seiner Frau essen war. Nur ab und zu schaute er auf das Display und stellte dabei fest, dass er einen Anruf verpasst hatte. Die Nummer gehörte einem Teilnehmer aus Freiburg im Breisgau. Joachim Löw hatte versucht, Heiko Westermann zu erreichen – um ihm die freudige Überraschung mitzuteilen, dass er für die WM-Qualifikationsspiele in Irland heute (20.45 Uhr, live im ZDF) und gegen Schweden (am Dienstag in Berlin) zum Kader der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gehört.

Für den Rest des Landes war die Überraschung nicht minder groß, die allgemeine Freude aber hielt sich in Grenzen. Dass der Innenverteidiger fast zwei Jahre nach seinem letzten Länderspiel und mit inzwischen 29 noch einmal in den Kreis der Nationalmannschaft zurückkehrt, ist nicht gerade ein Signal für die Stärke des deutschen Fußballs. Westermann war längst schleichend in den Status des Ex-Nationalspielers hinübergewechselt. Er hat nie das Ende seiner Länderspielkarriere erklärt, aber irgendwie hat jeder gewusst: Das war’s wohl für ihn.

Dass Löw den Hamburger jetzt reaktiviert, ist einer ungewöhnlichen Personalnot geschuldet, vor allem in der Defensive. Der Bundestrainer muss beim bevorstehenden Doppelspieltag auf die verletzten Mats Hummels, Lars Bender und Ilkay Gündogan verzichten; Kapitän Philipp Lahm ist zudem für die Begegnung in Dublin wegen seiner zweiten Gelben Karte gesperrt. Eine solche Zahl an Ausfällen führt selbst die deutsche Nationalmannschaft an die Grenze ihrer Kapazität, auch wenn das angesichts der Jubelhymnen über die Qualität im Überfluss ein bisschen verwunderlich wirkt. Wolfgang Overath, der Weltmeister von 1974, hat gerade erst wieder auf der Internetseite des Deutschen Fußball-Bundes über den Zustand der Nationalmannschaft geschwärmt: „Unser Fußball ist nach wie vor führend und wird hoch angesehen in der ganzen Welt. Wir haben super junge Spieler.“

Das stimmt einerseits, und andererseits auch wieder nicht. „Im Moment haben wir auf einigen Positionen einen Engpass“, klagt Löw. In der Außenverteidigung zum Beispiel. Dieser Mangel begleitet die sportliche Leitung der Nationalmannschaft schon seit einigen Jahren. „Da haben wir nicht die Masse an Spielern, die wir gerne hätten“, sagt Löws Assistent Hans-Dieter Flick. Im Grunde haben sie mit Philipp Lahm nur einen, der den höchsten Anforderungen gerecht wird. Beim Dortmunder Linksverteidiger Marcel Schmelzer besteht zumindest noch die Hoffnung, dass er an seinen internationalen Herausforderungen wächst. Alle anderen Kandidaten aber – Jerome Boateng, Benedikt Höwedes, Heiko Westermann und auch Holger Badstuber – sind eigentlich in der Innenverteidigung zu Hause.

Gerade zwei Jahre ist es her, dass dem deutschen Fußball goldene Zeiten vorhergesagt wurden. Die Nachwuchsteams des DFB (U 17, U 19 und U 21) waren innerhalb eines Jahres allesamt Europameister geworden, dazu hatte die A-Nationalmannschaft mit einer unschlagbar jungen Truppe bei der WM in Südafrika das Publikum verzückt. Der Nachschub an außergewöhnlichen Begabungen schien unerschöpflich. Doch schon damals hat Löw gewarnt: „Es gibt auch nicht unendlich viele Talente in Deutschland.“ Richtig glauben wollte ihm niemand, inzwischen aber zeigt sich, dass seine Warnung nicht unbegründet war. „Auf einigen Positionen haben wir nicht die unbegrenzte Auswahl an Spielern“, sagt der Bundestrainer.

Die Klage gilt inzwischen auch für den Angriff, in dem die Deutschen seit Max Morlock eigentlich immer gut bestückt waren. Im aktuellen Aufgebot der Nationalmannschaft wird mit Miroslav Klose nur ein echter Stürmer geführt. Mario Gomez fehlt verletzt; davon abgesehen aber ist die Auswahl ziemlich dünn. Es ist ein Problem, das sich schon in der Jugend andeutet, sagt Robin Dutt, der neue Sportdirektor des DFB. Durch das inzwischen gängige System mit nur einem Stürmer haben sich die Anforderungen an diese Position geändert. „Typische Stürmer mit Stärken im Abschluss fallen früh durchs Raster und haben nicht genügend Gelegenheiten, sich weiterzuentwickeln“, sagt Dutt.

Joachim Löw fordert, in der Ausbildung gezielt auf solche strukturellen Defizite zu reagieren. Auf die Selbstregulierung sollte man nicht hoffen. Denn auf den Bolzplätzen wollen die Kinder und Jugendlichen am liebsten Özil, Götze oder Reus sein. Dabei braucht der deutsche Fußball dringend ein paar begabte Schmelzers.

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