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Lucien Favre

© dpa

Lucien Favre: „Hitzfeld hat mir gratuliert“

Herthas neuer Trainer Lucien Favre über das Interesse der Bayern an ihm, über harte Tage in Zürich und Emotionen am Spielfeldrand.

Guten Tag, Herr Favre. Wenn es stimmt, was man sich so erzählt, hat Hertha BSC großes Glück gehabt, dass Sie als Trainer gekommen sind.

Aha, was erzählt man sich denn so?

Dass auch der FC Bayern München an Ihnen interessiert war. Wenn es im Januar nicht mit der Verpflichtung von Ottmar Hitzfeld geklappt hätte, wären Sie der erste Kandidat auf der Liste gewesen.

Herr Rummenigge hat damals gesagt: Lucien Favre ist ein interessanter Mann. Es gab aber nie ein Angebot. Im vergangenen Jahr hätte ich mal nach Rennes gehen können oder nach Griechenland. Das hat mich nicht interessiert.

Vielleicht kam der Tipp an die Bayern ja gerade von Ottmar Hitzfeld. Sie beide pflegen ein intensives Verhältnis.

Wir kennen uns schon seit den Achtzigerjahren, er war damals Trainer beim FC Aarau, ich habe noch für Servette Genf gespielt. Der Kontakt ist nie abgerissen. Ich schätze ihn sehr als Trainer, vor fünf Jahren habe ich sogar ein Praktikum bei ihm in München gemacht.

Was hat der Kollege Hitzfeld Ihnen denn über Ihren neuen Verein erzählt?

Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Aber er hat mir vor zwei Wochen per SMS gratuliert, als die Sache mit Hertha endlich fix war.

Bei wem haben Sie sich sonst so über Berlin und die Bundesliga erkundigt?

Natürlich bei Ludovic Magnin vom VfB Stuttgart, ich hatte ihn früher als Spieler in Yverdon, da war er gerade 18. Und ich habe mit Marcel Koller telefoniert…

… dem schweizerischen Trainer des VfL Bochum, dem Sie gerade den Torhüter Jaroslav Drobny ausgespannt haben.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch gar nicht in Berlin unterschrieben. Übrigens: Ich wusste bis vor ein paar Tagen gar nicht, dass Drobny vorher in Bochum gespielt hat.

Hertha gilt als schwieriger Fall, mit vielen sehr jungen, sehr talentierten, aber zum Teil auch sehr schlecht erzogenen Spielern.

Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich dazu nichts sage. Ich möchte die Spieler erst persönlich kennen lernen.

Das tun Sie schon ein paar Wochen. Angeblich studieren Sie Hertha Tag und Nacht auf DVD.

Nein, nein, ich habe vielleicht drei oder vier DVDs gesehen, mehr muss nicht sein, sonst explodiert einem ja der Kopf. Und ein richtiges Urteil über einen Spieler kann man sich eh erst bilden, wenn man ihn auf dem Platz gesehen hat.

Sie waren als Spieler ein eleganter Techniker. In der Schweiz heißt es, Ihre Mannschaften hätten immer so gespielt wie sie. Ihr erster Klub Yverdon trug wegen seiner brasilianischen Spielweise den Spitznamen Yverdinho. Da können sich die Berliner Zuschauer auf einiges gefasst machen.

Das ist lange her. Meine Philosophie ist es, offensiv, aber kontrolliert zu spielen. Jeder technisch gut veranlagte Spieler muss auch seine Arbeit nach hinten machen. Ansonsten gilt in Berlin, was auch vorher in Zürich galt: Wir müssen Geduld haben.

Sie legen Wert auf äußerste Disziplin. Beim FC Zürich haben Sie Ihrem Jung-Nationalspieler Blerim Dzemaili vor einem halben Jahr die Kapitänsbinde weggenommen, weil er nach einem Länderspiel das Training sausen ließ. Ein schönes Signal an Herthas notorische Zuspätkommer.

Das ist eine komplizierte Geschichte. Und ein Missverständnis. Dieses Länderspiel war kein sehr gutes der Schweizer…

… ein 1:3 gegen Deutschland, Dzemaili hat nur eine halbe Stunde lang gespielt…

…und am nächsten Tag sollte er in Zürich zum Training erscheinen. Stattdessen ist er zu Gesprächen mit dem FC Bolton nach England geflogen. Sie können sich vorstellen, dass ich ziemlich wütend war. Er hätte mir zumindest absagen können. Da habe ich mir gedacht: So einer kann nicht länger Kapitän bleiben. Also habe ich ihm die Binde weggenommen.

Wo bleibt das Missverständnis?

Er hatte seinen Berater informiert, der sprach mit unserem Sportdirektor, der es mir sagen wollte, aber irgendwie vergessen hat. Dzemaili ging davon aus, dass ich Bescheid wusste. Wir haben das mittlerweile geklärt.

Sie haben Dzemaili beim FC Zürich als 17-Jährigen aus der Jugend in die erste Mannschaft geholt. Unter Ihnen ist er Nationalspieler geworden. Jetzt ist er 20 und wechselt ohne Ablösesumme in die Premier League. Eine interessante Parallele zu Hertha BSC.

Ich weiß, auch viele Berliner Nachwuchsspieler werden von anderen Vereinen umworben.

Der jüngste Fall ist Jerome Boateng, der seinen Vertrag bei Hertha nicht verlängern will und wohl in einem Jahr nach Hamburg wechselt. Vor ihm ist schon Ashkan Dejagah nach Wolfsburg gegangen, ebenfalls ablösefrei.

Ja, das ist ein Problem. Der eine Verein bildet aus, der andere profitiert davon. In Zürich geht ja nicht nur Dzemaili. Xavier Margairaz ist schon weg, Gökhan Inler geht wahrscheinlich auch.

Am schwersten aber wiegt der Verlust des Trainers. Es scheint, als würde ganz Zürich um Sie trauern. Dabei sind Sie doch bei Ihrem Antritt vor vier Jahren gar nicht so freundlich aufgenommen worden. Die beiden wichtigsten Zeitungen, Blick und Tagesanzeiger, hatten sich auf Sie eingeschossen, nach einem halben Jahr war der FCZ Tabellenletzter.

Die Zeitungen waren kritisch, aber nie unter der Gürtellinie. Der Anfang in Zürich war hart. Ich hatte vorher als Trainer und Spieler immer in der französischen Schweiz gearbeitet, die deutsche Schweiz war eine neue Welt für mich. Das ging schon mit der Sprache los. Mein Deutsch hatte ich in der Schule gelernt, aber das war lange her. Ein Glück, dass viele Spieler, der Präsident und der Sportdirektor Französisch sprachen.

Es heißt, sie hätten in ihren ersten Monaten kaum einen Spieler angeguckt und einen sehr introvertierten Eindruck gemacht.

Das habe ich auch gelesen, eine interessante Geschichte, sie stimmt nur leider nicht. Richtig ist, dass ich Probleme mit der Sprache hatte, aber introvertiert? Nein, das war ich nie. Schauen Sie doch mal auf dem Trainingsplatz vorbei, dann werden Sie feststellen, dass ich sehr offen bin.

Und noch etwas sagt man Ihnen nach: dass Sie an der Seitenlinie schon mal sehr heftig fluchen können.

Ich bin ein emotionaler Mensch, aber das gehört doch zum Fußball.

Die Schiedsrichter sollen es nicht leicht mit Ihnen haben.

Sie werden nie erleben, dass ich mich über ein falsches Abseits beschwere oder über einen unberechtigten Freistoß. Aber wenn die Schiedsrichter grobe Fehler machen, dann werde ich wütend. Aber wer wird das nicht?

Als Trainer in Genf haben Sie mal die Schiedsrichterin Nicole Pétignat nach einer Fehlentscheidung wüst beschimpft.

Ach, schon wieder diese alte Geschichte, das ist so langer her, aber sie wird immer wieder aus den Archiven gekramt. Glauben Sie mir, ich verstehe mich heute sehr gut mit ihr. Rufen Sie Nicole an und fragen sie danach.

Wird sich das Verhältnis zum FC Zürich auch wieder einrenken? Die Enttäuschung über Ihren Wechsel nach Berlin ist groß.

Das ist kein Problem. Der Sportdirektor des FCZ ist ein Hertha-Fan, und der Präsident kauft jedes Jahr zwei Dauerkarten für das Olympiastadion.

Das Gespräch führte Sven Goldmann.

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