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„Jeder soll sich was zutrauen, es gibt immer eigene Wege.“ Tom Habscheid, in Personalunion das Leichtathletik-Nationalteam Luxemburgs, findet Menschen mit Behinderung, Sport und Berlin cool. Aber die Zäune im Jahn-Stadion-Rund nicht. Foto: Ralf Kuckuck/DBS-Akademie

© Ralf Kuckuck, DBS-Akademie gGmbH

Para-Leichtathletik: Luxemburg im Jahn-Sportpark: Ein Mann ist das Team

Tom Habscheid ist Favorit im Diskuswurf – und vertritt als einziger Starter Luxemburg bei der Para-EM.

„Dürfen wir ein Autogramm haben?“ Die Jungs von der Mary-Poppins-Grundschule aus Kladow gucken hoch zu dem Baum von einem Mann. Der Vater zweier Kinder sitzt im Trikot auf den Rängen und schaut auf sein Handy. Welches Modell er hat, fragen die Jungs. Ihr Kommentar im typischen Grundschulslang: „Nice!“ Ganz nett ist auch, was der 32 Jahre alte Athlet auf dem Platz mit dem Diskus in der Hand angestellt hat. 46,22 Meter. Lohnt sich, das Autogramm.

Der Typ mit der verspiegelten Sonnenbrille und dem Maori-Tattoo ist bei der Para-Leichtathletik-EM 2018 in Prenzlauer Berg gerade Vize-Diskus-Europameister in der Startklasse F63 geworden. „Das ganze ,Gevize’ nervt zwar“, sagt Tom Habscheid, er hat den Beinahe-Erster-Rang schon 2017 bei der Weltmeisterschaft belegt. Was soll’s. Dafür ist er das Athletennationalteam in Personalunion. Mehr Luxemburg als Tom Habscheid gibt es bei der EM mit 600 Athleten aus 40 Nationen nicht. Das Land investiere eben mehr in Schule statt in Sport.

So einer wie Habscheid steht für das, was den paralympischen Spirit ausmacht. Statt der Orthese am verkürzten linken Bein faszinieren Mensch, Sportler und Seele. Tom Habscheid zeigte die Natur eine ihrer Launen, wie er es ausdrückt. Er kam mit PFFD zur Welt, das steht für „Proximal Femoral Focal Deficiency“. Bei dieser angeborenen Fehlbildung gibt es Beeinträchtigungen im Bereich des Oberschenkels. Das Knie sitzt etwa auf der Mitte des Ober- und der Fuß ist auf der Mitte des Unterschenkels. Oft ist das Hüftgelenk unterentwickelt.

Für Tom kein Hindernis, als Junge Fußball zu spielen. „Meine Mutter fand das gar nicht cool, weil mir ständig die Prothesen brachen“, scherzt der Hüne, der vier Sprachen spricht. Noch vor der Schulzeit kam eine Stabilisierungsplatte in die Hüfte. Er hat mehrere Orthesen. „Ich lebe gut, radfahren, rennen, geht alles.“ Vor sechs Jahren sah er Berichte über die Paralympischen Spiele in London. „Dann habe ich losgelegt, und es ging Schlag auf Schlag.“ Die WM in Lyon, auch schon EM-Zweiter. Und warum jetzt nicht Platz eins? „Ganz einfach. Ich habe viele tolle Sponsoren, und gehe arbeiten. Aled Davies etwa ist Vollathlet, die Sportnation Großbritannien macht’s möglich.“

Im Jahn-Sportpark jubeln am Tag schon mal 3000 Zuschauer

Habscheid hat seinen Werktagsjob beim Luxemburger Bildungsministerium und geht trotzdem bis zu sieben Mal die Woche trainieren. Seine Frau findet das nicht wirklich klasse, „aber wenn ich mit einer Medaille nach Hause komme, ist sie happy“. Sechs seiner 40 Stunden Arbeit kann er für den Sport gutschreiben. Während das Solo-Team-Luxemburg das erzählt, fotografiert Kevin Müller vom Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) wieder mal einen der 40 deutschen Athleten bei der Siegerehrung. Und Müller sagt augenzwinkernd, dass ein Deutscher, der ehemalige DBS-Leistungssportreferent Marc Kiefer, Sportdirektor des Nationalen Paralympischen Komitees Luxemburg sei.

Überhaupt umarmen sich bei der Para-EM 2018 viele aus der Paralympischen Familie. Alte und junge Mitglieder dieser Gemeinschaft wie Ralf Otto und Nico Feißt, Neu-Jugend-Coach Heinrich Popow („Running Clinics“), Kristin Gunkel von Technikpartner Ottobock, Vernetzerin und Rollstuhltennisspielerin Katharina Krüger. DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher, nach einem Unfall auf dem Wege der Besserung und auch schon wieder unterwegs zwischen Berlin, Leichtathletik, und Hamburg, Rollbasketball-WM.

Wie immer kündigt das Internationale Paralympische Komitee mit Sprecher Craig Spemce an, dass die nächsten Paralympics in Japan 2020 auf einem noch höheren Level sein werden als je zuvor. So sind gerade 30 000 Zuschauer in Tokio beim Demo-Event im Boccia von Schwerbehinderten.

Im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark jubeln am Tag schon mal 3000 Zuschauer. 200 Journalisten aus aller Welt sind akkreditiert. Mit Paralympics wie in London mit 90 000 Gästen täglich dürfe man eine EM nicht vergleichen, „ich habe schon leerere Stadien gesehen“, lobt Tom Habscheid. Sonntag geht er wieder in den Ring, 14.30 Uhr, Kugelstoßen. Mal Erster werden, das wäre cool für ihn.

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