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Sport: Magischer und tragischer Held

Was Stürmerstar Lukas Podolski mit Ersatztorwart Oliver Kahn verbindet

Sie zählen zu den merkwürdigen Bildern dieser WM, diese Bilder mit Oliver Kahn. Da sitzt er nun, der deutsche Ersatztorwart, ganz am Ende der Ersatzbank. Besonders merkwürdig sind sie an solchen Tagen, die bisher als Oliver-Kahn-Tage galten. Es sind die Tage der so genannten K.-o.-Runde. Er, der ewige deutsche Torwart, war es doch, der solche Tage prägte, der solche Tage der Alles-oder- nichts-Spiele dominierte bei der WM 2002 in Fernost. Diese Tage machten Kahn zum Titan. Diese WM aber läuft etwas anders. Vielleicht wollte Kahn wenigstens eine kleine Geschichte abbekommen, als er sich den Spielball jenes Achtelfinals schnappte, das die Deutschen souverän gegen Schweden gewannen. So sicherte Kahn sich einen greifbaren Teil des Erfolgs. Es ist ein kleines, hübsches Bild am Rande. Die eigentlichen Bilder liefern jetzt andere. Lukas Podolski zum Beispiel.

Man kann jetzt einfach die Bilder von Kahn und Podolski hernehmen und betrachten. Hier die Bilder vom tragischen Helden, und da die Bilder vom magischen Helden. Auf den ersten Blick scheinen sie so gar nicht zusammenzupassen. Und doch erzählen sie eine ganz ähnliche Geschichte. Wenn man so will, ist Lukas Podolski der moderne Oliver Kahn.

16 Jahre liegen zwischen dem Torwart und dem Stürmer. Während der eine, Podolski, bei dieser Heim-WM gerade dabei ist, in das Zentrum seiner fußballerischen Schaffenskraft vorzustoßen, verabschiedet sich Oliver Kahn so langsam davon. Es gibt da ein Bild, das zeigt den sonst so grimmig dreinschauenden Kahn, wie er sich den jungen Podolski an die Brust drückt und ihm mit seinem riesigen Torwarthandschuh über den Kopf streicht. „Natürlich ist die Situation manchmal schwierig für mich“, sagte Kahn nach dem Achtelfinale, „aber ich bin in erster Linie deutscher Fußballer und freue mich heute besonders für den Lukas.“ Podolski hatte das K.-o.-Spiel mit seinen zwei Toren in den ersten zwölf Minuten entschieden. Kahn mag Fußballer, die Spiele entscheiden; so, wie er früher ganze Fußballspiele allein entschieden hat. Podolski kann das auch, wenngleich am anderen Ende des Spielfeldes.

Lukas Podolski wird nach der Weltmeisterschaft zum FC Bayern wechseln. In München wird er für die nächsten Jahre an der Seite Oliver Kahns versuchen, dem „wahnsinnigen Druck“ des Immergewinnenmüssens Stand zu halten. Kahn schenkt besonders ihm schon jetzt von seiner „wahnsinnigen Erfahrung“. Das ist etwas, was ihm zwar nicht halb so wahnsinnig viel Spaß macht, wie selber Fußball zu spielen, aber das schreibt seine neue Rolle nun mal vor. „Ich weiß, dass ich mithelfen kann, dass die Mannschaft erfolgreich ist“, hatte er gleich zu Beginn des Turniers gesagt.

In ihrem Wesen, in ihrer Leidenschaft, in ihrem Feuer für die Sache Fußball sind sie sich ähnlich. Beide sind bis zum Schmerz ehrgeizig. „Der Lukas ist sehr clever“, sagt Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, „er lernt sehr schnell, was ihm die Trainer sagen, und will es gleich umsetzen.“ Auch Lukas Podolski spielt eine Rolle in der Öffentlichkeit. Wann immer er in den vergangenen Tagen vor die Presse trat, spürte man, wie weh ihm die Kritik tat: Er bewege sich zu wenig, deshalb treffe er nicht. Wenn sich Kahn ungerecht behandelt fühlte, zischte er ins Auditorium, und man musste den Eindruck bekommen, als halte nur noch seine äußere Hülle Kontakt zur Außenwelt. Podolski zischt nicht, er sagt nur noch weniger als sonst. Und lächelt dann so maskengleich.

Beide bedienen Bilder, die die Öffentlichkeit von ihnen hat. Natürlich ist Kahn nicht der weise Häuptling, den er jetzt gerne mimt, genauso wenig ist Podolski der Clown. Beide sind sie empfindsam und verletzbar. Sie ragen am Rand aus der Homogenität der Gruppe. Denn beide haben einen starken Charakter. Podolski stand lange am Rand der Gruppe, weil er nicht immer so reagierte, wie die anderen reagierten. Seine lockere, bisweilen oberflächliche Art hat ein tieferes Eindringen verbaut. Kahn war selbst als Kapitän am äußeren Rand der Mannschaft. Er bringe sich zu wenig ein, warf ihm Klinsmann vor einem Jahr vor. Es hieß, Kahn würde sich mit seiner Art verweigern, dabei könne die Mannschaft doch viel lernen von ihm. Schon möglich, dass ihn das seinen Platz im deutschen WM-Tor gekostet hat.

Wie Kahn und Podolski wirklich sind, wissen die wenigsten. Die Öffentlichkeit hat ihre festen Bilder von Kahn und Podolski. Doch die medialen Bilder sind das eine, alles andere bleibt verborgen. Vielleicht schätzen sich beide deshalb so.

Nach seinem dritten Doppelpack in der Nationalmannschaft sagt Podolski knapp: „Ob ich drei, sieben oder zwanzig Tore mache, ist mir egal. Wir wollen Weltmeister werden, da müssen wir noch dreimal gewinnen.“ Kahn hätte früher gesagt: Ob ich drei, sieben oder zwanzig Bälle halte, ist mir egal. Wir wollen Weltmeister werden, da müssen wir noch dreimal gewinnen. Beide haben eine ähnliche Logik und Art, sich auszudrücken. Bei Kahn rühmt man die Klarheit, bei Poldi die Knappheit. Dabei sind beide knapp und klar.

Kurz vor dem wichtigen Gruppenspiel gegen Polen hat Kahn das Wort in der Kabine ergriffen. Hinterher erzählte Christoph Metzelder, Kahn habe ein paar Dinge noch mal auf den Punkt gebracht, das war wichtig für den Erfolg. Podolski hält keine Reden, er spielt ja noch. Im Spiel gegen Schweden hat er die Dinger einfach reingemacht – das war wichtig für den Erfolg. Argentinien kann kommen. „Wir haben keine Angst, egal wer da kommt“, sagt Podolski. Wenn er treffen sollte, trifft er auch für Oliver Kahn.

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