zum Hauptinhalt
Leander Kress, 21 Jahre (rechts), und Christoph Glötzner, 18 Jahre, haben sich beim Skifahren kennengelernt und sind heute befreundet.

© Imago

Leander Kress und Christoph Glötzner im Interview: „Manchmal regt er mich auf, wenn er bis zwölf Uhr nachts lernt“

Die beiden Para-Skifahrer über ihre erste Paralympics-Teilnahme, das gemeinsame Zimmer, die Rennen gegeneinander und Vorbereitungen aufs Abitur.

Von
  • Magdalena Austermann
  • Elena Deutscher

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Herr Kress, Herr Glötzner, Para-Ski-Alpin hatte am Dienstag erstmals kein Rennen. Was haben Sie an Ihrem freien Tag gemacht?

KRESS: (Lacht) Du bist voll früh aufgestanden, erzähl du.

GLÖTZNER: Ich bin in der Früh im Gym radeln gegangen, also einfach ein bisschen Laktat abbauen, und sonst war eigentlich alles ganz gechillt. Ich habe meine Krückski repariert, die sind beim Training kaputt gegangen. Ansonsten ein bisschen mobilisiert, Frühstück, Mittagessen und ein bisschen gechillt.

Sie teilen sich auch Ihr Zimmer. Sind Sie eher chaotisch oder ordentlich?

GLÖTZNER: Leander hat gerade erst mal zehn Minuten lang seine Seite aufgeräumt, es schaut bei ihm schon immer ein bisschen chaotischer aus. Bei mir hält es sich in Grenzen.

KRESS: Wir sind eigentlich voll unterschiedlich, das sieht man im Zimmer oder in der Schule, Grisu (Christoph Glötzner, Anm.d.R.) ist voll der Überflieger und ich habe mich halt durchgemogelt.

Es sind für Sie beide die ersten Paralympics. Wie nehmen Sie das Ganze wahr?

KRESS: Es ist mega cool. Am Anfang hat es sich noch ein bisschen wie ein Weltcup-Rennen angefühlt. Bei der Eröffnungsfeier und als wir eingelaufen sind, da kam dann erst diese richtige Stimmung auf. Da waren 30.000 Zuschauer und das war echt krass. Wir waren überwältigt, haben uns angeschaut und gesagt: Hey, wir haben's geschafft, wir sind endlich bei den Paralympics!

Herr Kress, Sie sind in Peking schon Rennen gefahren. Wie aufgeregt waren Sie vor Ihrem ersten Paralympics-Auftritt?

KRESS: Brutal! Ich war in der Früh so aufgeregt, ich habe richtig gezittert vor Nervosität. Ich bin zum Grisu vor dem Rennen und habe ihm gesagt: Ich pack’s fast nicht mehr. Vor dem Start habe ich das aber relativ gut in den Griff bekommen. Es ist ganz gut, dass wir uns haben und die ganzen Eindrücke miteinander verarbeiten können. Wir sind eigentlich seit Anfang an beieinander, haben zusammen das Skifahren gelernt, haben zusammen die Fortschritte gemacht. Jetzt ist es halt auch cool, dass wir beide hier sind, dass wir zusammen das Ganze erleben können und am Abend im Zimmer auch drüber reden und noch mal alles Revue passieren lassen können.

Wann haben Sie sich kennengelernt?

KRESS: Das war im Paralympics Future Team, da waren wir immer in der gleichen Gruppe. Und dann hat sich da natürlich eine Freundschaft aufgebaut.

Durch den Skisport sind Sie mehr als 100 Tage im Jahr zusammen. Sind Sie mittlerweile beste Freunde?

GLÖTZNER: Wir sind auf jeden Fall sehr gute Kumpels.

KRESS: Ich glaube, es gehört dazu, dass man sich auch mal nicht so gut versteht und sich dann vielleicht lieber aus dem Weg geht, aber das macht halt beste Freunde aus und danach verstehen wir uns wieder voll. Sonst wären wir nicht immer zusammen auf einem Zimmer, da würden sonst auch die Fetzen fliegen.

Bei den Paralympics belegte Leander Kress in der stehenden Klasse bereits Rang 17 unter 36 Startern.
Bei den Paralympics belegte Leander Kress in der stehenden Klasse bereits Rang 17 unter 36 Startern.

© Imago

Im Rennen treten Sie auch gegeneinander an. Wie gehen Sie damit um, dass Sie befreundet, aber gleichzeitig auch Konkurrenten sind?

GLÖTZNER: In letzter Zeit hat es sich ein bisschen angestaut. Wir sind noch voll locker, aber es fliegen manchmal Sprüche und dann heizen wir uns gegenseitig ein bisschen auf, aber wir kommen da eigentlich beide mit klar und das meint ja niemand böse. Wir wollen beide schneller als der andere sein.

KRESS: Wir pushen uns immer gegenseitig. Skifahren ist eigentlich eine Teamsportart, bis auf die zwei Minuten, die man dann im Lauf ist. Danach sind wir jedes Mal wieder befreundet und man freut sich auch für den anderen, wenn er schneller ist. Vielleicht dann auch erst am Tag danach, aber irgendwann freut man sich.

Herr Glötzner, Sie stecken gerade mitten im Abitur. Ist das etwas, das Sie jetzt auch vor Ort beschäftigt?

GLÖTZNER: Ich habe mir Lernsachen mitgenommen, wobei ich mir daheim schon gesagt habe, dass ich mich hier nicht zum Lernen zwingen will. Wenn ich mal Zeit und Bock habe, dann lese ich mir etwas durch. Aber grundsätzlich versuche ich hier echt alles aufzusaugen, alles mitzuerleben und die ersten Paralympics einfach voll zu genießen. Danach wird ordentlich gepaukt.

Herr Kress, Sie sind drei Jahre älter als Herr Glötzner. Können Sie ihm ein paar Tipps geben, wie er so ein Abitur am besten angeht?

KRESS: Boah, das mache ich lieber nicht (lacht). Der Grisu ist echt vorbildlich, was die Schule anbelangt. Manchmal regt er mich auf, wenn er bis zwölf Uhr nachts lernt und ich eigentlich schon längst schlafen will, weil wir am nächsten Tag Ski fahren.

Herr Glötzner, Sie haben Ihr Bein schon in sehr jungen Jahren verloren. Vielleicht mögen Sie darüber ein bisschen was erzählen?

Glötzner: Ich hatte mit drei Jahren einen Unfall und wurde bei uns daheim von einem Rasenmäher-Traktor überfahren. Ich sehe es eigentlich als Vorteil, dass es so früh passiert ist. Ich bin damit aufgewachsen und wurde überall sau gut integriert. Im Kindergarten haben sie mich genauso mitgeschleift und überall mitspielen lassen, beim Fußball beispielsweise, sodass alles dreckig wurde oder auch mal Sand in der Prothese war. Auch in der Schule habe ich überall meine Freunde gehabt und deswegen kenne ich das gar nicht anders und will auch kein Mitleid. Ein Leben mit Prothese ist für mich voll normal.

Wann standen Sie das erste Mal auf Ski?

GLÖTZNER: Da war ich vier Jahre alt. Der Chefarzt, der mich nach dem Unfall begleitet hat, war auch oberschenkelamputiert und hat mir das Skifahren beigebracht. Er war auch mal bei den Paralympics und ist nach wie vor ein großes Vorbild für mich. Ich will selber auch mal Arzt werden und möglichst vielen Menschen helfen und vielleicht auch mal ein Vorbild für andere sein.

Herr Kress, Sie haben Ihr Bein nach einem Krebsleiden verloren, sind aber seit 14 Jahren krebsfrei. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit mit der Krankheit?

KRESS: So richtig gut kann ich mich nicht erinnern, auch nur an so Teile wie der Grisu. Zum Beispiel an den Moment, wenn die Chemotherapie durch den Schlauch in den Körper rein geht. Ich war niedergeschlagen, als ich wusste, dass mein Bein amputiert werden muss, aber dann kam ein Junge auf mich zu – der war damals 14 Jahre alt – und hat mich gefragt, warum ich traurig bin. Dann habe ich ihm das erzählt und er meinte: Sei doch glücklich, dass man deinen Krebs wegschneiden kann. Er hatte sieben verschiedene Krebsarten im ganzen Körper verteilt und drei Monate später war ich auf seiner Beerdigung. Das war ein ziemlich prägender Satz und deswegen bin ich ziemlich lebensfroh und danach hat es mich nie wieder gestört mit meinem Bein.

Was haben Sie sich für die nächsten beiden Rennen, die noch anstehen, vorgenommen?

GLÖTZNER: Erfahrung sammeln, das Beste rausholen, die Sachen, die im Training schon ganz gut klappen, auch im Rennen umsetzen. Einfach geil und schnell Skifahren und vor allem den Kollegen hier (klopft Leander auf die Schulter) auf jeden Fall packen.

KRESS: Es ist ein Rennen zwischen uns beiden, so wie es eigentlich schon immer war. Wir wollen 2026 noch ambitionierter und mit hohen Zielen in die Spiele starten.

Haben Sie eine Wette laufen, dass der, der gewinnt, dem anderen etwas ausgeben muss?

GLÖTZNER: Ne, das jetzt nicht, wir haben bloß mal beim letzten Lehrgang gescherzt, weil es halt sau unwahrscheinlich ist, dass wir eine Medaille holen, aber wenn, dann würden wir uns irgendwie die Haare färben oder eine Glatze machen oder so etwas.

KRESS: Der Trainer hat auch gesagt, er wäre dabei, wenn es passiert.

Und welche Farbe wird es dann?

KRESS: Blond oder pink vielleicht.

Sie haben mal gesagt, dass Sie beide der perfekte Skifahrer wären, wenn Sie sich ergänzen könnten. Wie meinten Sie das?

GLÖTZNER: Es ist oft so, dass die Stärken vom einen die Schwächen vom anderen sind. Ich bekomme zum Beispiel Linksschwünge voll gut hin, was bei Leander dann die übelsten Bremsschwünge sind. Dafür kann er den Rechtsschwung sehr sauber ziehen und das ist bei mir immer so semi.

KRESS: Grisu hat eine bessere Ausdauer als ich und kann brutal springen, das sieht man auf Instagram bei ihm. Dafür habe ich mehr Kraft. Im Slalom hat er im Moment die Nase vorne, dafür bin ich im Speed grade ein bisschen besser.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false