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Sport: Manfred Ewald ist tot

Der mächtigste Sportchef der DDR ist im Alter von 76 Jahren gestorben

Berlin. Den letzten Rest von Größe nahm ihm nicht das Gericht, auch nicht die Nebenklägerinnen und die Journalisten und der Staatsanwalt im Saal 501 des Langerichts Moabit ebenfalls nicht. Den letzten Rest an Größe nahm sich Manfred Ewald selber. Er hatte nochmal die große Bühne, wie in den vielen Jahren, als er im Rampenlicht stand, er hatte die Chance, so etwas wie Würde auszustrahlen. Aber dazu hätte Manfred Ewald, der frühere allmächtige Chef des DDR-Sports gestehen müssen. Dann hätte der 74-Jährige vor den Journalisten aus aller Welt zugeben müssen, dass er verantwortlich für das Doping von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen war. Dann hätte er zugeben müssen, dass er die Gesundheit von Sportlern dem Prestige der DDR geopfert hatte. Und er hätte sich entschuldigen müssen bei seinen ganzen Opfern.

Aber der Bürger Ewald, entkleidet seiner Ämter, angeklagt der Beihilfe zur Körperverletzung an Minderjährigen in 142 Fällen, präsentierte sich vor Gericht als gebrechlicher Rentner, der angeblich Erinnerungslücken hatte und der Ex-Schwimm-Olympiasiegerin Rica Reinisch entgegenstammelte: „Ich kenne Sie nicht.“ Vor dem Eingang des Gerichts aber spurtete er plötzlich los zu dem Auto, das ihn wegbrachte. Dopingopfer, Ewalds Dopingopfer sahen es, und ihnen wurde schlecht vor Wut.

Dieser Manfred Ewald konnte sich nicht lösen aus der Gedankenwelt, in die er sich einbetoniert hatte. Er war 27 Jahre lang Chef des DDR-Sports, von 1961 bis 1988, er führte das Nationale Olympische Komitee der DDR von 1973 bis 1990. Ein Mann, vor dem gestandene Trainer zitterten. Ein Mann, dem das Ansehen der DDR alles bedeutete. Ein Mann, der den Sport als Mittel des Klassenkampfs einsetzte. Seine DDR war längst zugrunde gegangen, als er im Sommer 2000 vor Gericht stand, aber er musste sich unverändert als aufrechten Klassenkämpfer gesehen haben. Das Politbüro erfand den Ausdruck der „Diplomaten im Trainingsanzug“, Ewald war der Mann, der diese Botschafter dirigierte. Es war ein steiler Aufstieg des Sohns eines Schneiders, der eine nationalsozialistische Eliteschule besuchte, 1945 in die KPD eintrat und über diverse Funktionärsposten schließlich 1961 Präsident des Deutschen Turn- und Sportbundes wurde, 1963 zudem noch Mitglied des Zentralkomitees der SED und Volkskammer-Abgeordneter.

Nun hatte er die Macht im DDR-Sport. Und diese Macht übte er bedenkenlos aus. Sein Maßstab waren Medaillen, am wichtigsten die bei Olympischen Spielen, und der Platz in der Nationenwertung. Hauptsache vor der Bundesrepublik. Unter seiner Führung errang die DDR 572 Olympiamedaillen, darunter 203 aus Gold. Um dieses Ziel zu erreichen, kommandierte er das flächendeckende Doping in der DDR. Rund 10000 Sportler mussten in der DDR Anabolika schlucken, die jüngsten Opfer dieser Politik waren 12, 13 Jahre alt. Zweifel erstickte Ewald im Keim. 1988 wurde er abgelöst, wegen Alkoholexzessen, vor allem aber, weil er zu mächtig geworden war. Nachdem ein Jahr später die Mauer gefallen war, bestritt er, das Ausmaß des Doping gekannt zu haben. Es war eine Lüge, und sie half ihm nichts. Für die Körperverletzung an Minderjährigen wurde er zu 22 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Aber diese Strafe hatte ihn innerlich wohl kaum erreicht. Denn er hatte längst eine viel härtere Strafe erhalten. Der Klassenfeind hatte gesiegt.

Manfred Ewald starb gestern im Alter von 76 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung in einer Klinik in Brandenburg.

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