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Gegner am Boden. Im Juli 2011 knockte Marco Huck in München seinen argentinischen Herausforderer Hugo Hernan Garay in der 10. Runde aus.

© AFP

Marco Huck im Interview: „Mein Wunsch: gegen die Klitschkos boxen"

Der Berliner Box-Weltmeister Marco Huck im Interview über seine Anfänge als Kickboxer, Handlesen, seinen Aufstieg ins Schwergewicht, was er über die Klitschkos denkt und wie seine Flucht vom Balkan nach Deutschland verlief.

ZUR PERSON:

MARCO HUCK

wurde im November 1984 in Ugao, einer Gemeinde im früheren Jugoslawien, heute Serbien, als Muamer Hukic geboren. Er entstammt einer bosnischen Familie. 1993 flüchtete seine Familie nach Deutschland. Inzwischen lebt Marco Huck in Berlin, seit 2009 besitzt er auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

DIE KARRIERE ALS PROFIBOXER

begann 2004 im Berliner Gym von Promoter Wilfried Sauerland. 2008 wurde Marco Huck im Cruisergewicht Europameister, ein Jahr später schließlich Weltmeister nach Version der WBO. Diesen Titel hat er bisher achtmal erfolgreich verteidigt. 34 seiner 35 Kämpfe hat er gewonnen, davon 25 durch Knockout.

AUFSTIEG INS SCHWERGEWICHT

Der 27-Jährige hat jüngst Alexander Powetkin herausgefordert. Der Russe ist WBA-Champion im Schwergewicht. Dieser Kampf findet am 25. Februar 2012 in Stuttgart statt. Marco Huck könnte der erste Deutsche nach Max Schmeling werden, der Weltmeister im Schwergewicht wird.

Herr Huck, Sie kommen gerade von einem Schlagtest. Wozu dient ein solcher Test?

Sie werden es nicht glauben, ich bin jetzt seit sieben Jahren Profi, und ich weiß bis heute nicht so recht, wozu der eigentlich gut ist. Ich sage Ihnen: Mir tun danach so die Gelenke weh. Ich denke mal, dass bei diesem Test der Wille trainiert wird. Es geht dabei nicht um die pure Kraft. Man muss sich auch mental überwinden, voll Power zu gehen. Die Maschine lässt sich nicht täuschen.

Und, wie groß sind Kraft und Wille?

Oh, der Wille ist bei mir immer riesengroß. Und meine Kraftwerte sind besser als die mancher Schwergewichtler. Ich habe jetzt sieben Kilogramm mehr Körpergewicht und meine Kraftwerte um 15 Prozent steigern können.

Sie waren auch schon bei einer Handleserin. Trauen Sie Ihren Werten nicht?

Das war eine Idee von Sauerland-Event …

… Ihrem Berliner Boxstall, der den Namen Ihres Promoters Wilfried Sauerland trägt …

Ich habe gesagt, warum nicht? War schon interessant, was die Dame so alles aus meiner Hand gelesen hat.

Hatten Sie darum gebeten, eine paar Themen auszulassen?

Nein, überhaupt nicht. Ich war komplett offen. Und die Frau hat so viele positive Dinge in meiner Hand gesehen, dass mich das eher motiviert hat.

Die Dame will herausgelesen haben, dass Sie, sollte Ihre rechte Schlaghand gesund bleiben, unschlagbar sind.

Ja, das hat sie gesagt. Aber Sie müssen jetzt nicht denken, dass ich größenwahnsinnig bin. Vielmehr habe ich mich gewundert, was die Frau alles noch so in meiner Hand gelesen hat. Ich habe mich gefragt, woher sie das weiß. Ich bin ja nicht der Typ, der sich davon leiten lässt, aber ein wenig beeindruckt war ich schon.

Zum Beispiel?

Sie sagte mir, dass ich ein ziemlicher Sturkopf bin. Nun, das sagt mir meine Mutter heute noch. Aber diese Frau, die kannte mich doch gar nicht.

Mütter eben …

Ich war schon einmal am Rande der ITB bei einer Wahrsagerin. Sie kam aus Aserbaidschan. Und diese Frau hat mir etwas gesagt, was ich hier nicht erzählen möchte, aber mir immer noch ein bisschen Angst macht. Es bleibt ja immer etwas haften, selbst wenn man noch so fest im Leben steht. Ich vergleiche das mit der Werbung. Jeder sagt doch, dass ihn das nicht erreiche, aber im Unterbewusstsein läuft doch etwas ab. Mir kann keiner sagen, dass das nicht jeden irgendwie doch trifft. Aber keine Angst. Ich weiß, dass ich meine Träume und Wünsche fest im Griff habe. Und was ich träume, das kann ich auch verwirklichen.

Lesen Sie auf der nächste Seite über Hucks Anfänge als Kickboxer und seinen Wunsch, gegen die Klitschkos zu boxen.

Die Nacht der Ansage. Marco Huck überraschte Schwergewichtsweltmeister Alexander Powetkin (links) mit seinem Vorhaben, ihn herauszufordern. Der Kampf steht. Foto: dpa
Die Nacht der Ansage. Marco Huck überraschte Schwergewichtsweltmeister Alexander Powetkin (links) mit seinem Vorhaben, ihn herauszufordern. Der Kampf steht. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Haben Sie davon geträumt, Boxweltmeister zu werden?

Ja, das war ein Tagtraum. Ich weiß es noch genau. Es war in Paris, ich stand vor einem Spiegel, war kurz vor dem Finale der Kickbox-Weltmeisterschaft. Ich stand also vor dem Spiegel und zeigte mit dem Finger auf mein Spiegelbild und sagte: Morgen wirst du es packen, morgen wirst du jüngster deutscher Kickbox-Weltmeister aller Zeiten. Der Rekord wurde aufgestellt von Ferdinand Mack 1979. Der ist damals mit 19 Jahren Vollkontakt-Kickbox-Weltmeister geworden. Ich bin es dann mit 18 geworden. Nachdem ich mir diesen Traum verwirklicht hatte, stand ich wieder vor dem Spiegel. Du hast hier alles erreicht. Jetzt wirst du Box-Weltmeister.

Reizte die größere Prominenz?

Mehr oder weniger. Ich habe mich früher gar nicht fürs Boxen interessiert, geschweige denn fürs Kickboxen. Eigentlich wollte ich mal ein Karatekämpfer werden. So wie Bruce Lee oder Jean-Claude van Damme. Ich war ein hyperaktives Kind. Meine Eltern hatten damals viel Kummer mit mir. Mit zehn meldete mich mein Onkel auf Wunsch meiner Eltern beim Taekwondo an. Mit 15 hatte ich den schwarzen Gürtel, ich stand im Finale der WM in Eindhoven. Beim Teakwondo geht es nur um Semikontakt, leider hab ich im Finale meinen Gegner aus Versehen k. o. geschlagen. Ich wurde disqualifiziert. Und landete beim Boxen.

Und nun ist es Ihnen im Cruisergewicht zu eng geworden. Sie haben Alexander Powetkin, den WBA-Weltmeister im Schwergewicht, herausgefordert.

Ja, aber allen steht der Wunsch, gegen die Klitschkos zu boxen.

Ist das nicht ein bisschen viel?

Nein, nur ehrlich. Wer vom Schwergewicht redet, hat die Klitschkos vor Augen. Einen solchen Kampf zu bekommen, ist nicht einfach. Ich möchte erst einmal Powetkin am 25. Februar boxen, der schon Olympiasieger war und einen guten Ruf genießt. Wenn ich den schlage, dann sehen wir mal weiter.

Was treibt Sie? Sie könnten im Cruisergewicht Ihren Titel verteidigen und schönes Geld verdienen. Geht es Ihnen um die größere Popularität?

Da muss ich einhaken. Das Cruisergewicht hat niemanden interessiert. Erst durch meine Kämpfe wird es beachtet. Das wissen nicht nur die Experten.

Es gibt abschreckende Beispiele. David Haye und Tomasz Adamek, zwei frühere Weltmeister im Cruisergewicht, sind jüngst gegen die Klitschkos gescheitert.

Ich bin kein Haye und auch kein Adamek. Haye war gegen Wladimir Klitschko nicht gut, aber er hat zuvor den noch größeren Weltmeister Walujew zum Wanken gebracht. Und Adamek habe ich vor Jahren im Sparring durch die Seile gehauen. Was soll ich sagen?

Was macht Sie optimistisch?

Das Problem der Jungs ist, dass sie sich alle genau dann, wenn es gegen die Klitschkos geht, in die Hosen machen. Sie geben sich alle schon vorher auf. Ich aber habe Herz, und ich bin kein typischer Boxer. Ich schlage aus alle Rohren. Ich bin mir sicher, dass sich ein Klitschko schon noch umschaut, wenn er mir im Ring gegenübersteht.

Wer von ihnen ist einfacher zu boxen?

Vorneweg eins. Ich bewundere die Klitschkos. Sie sind in Deutschland für jeden ein Begriff, ob Schuhverkäufer oder Klavierspieler. Wladimir ist der bessere Boxer, hat aber ein Herz wie ein Küken. Witali ist ein echter Brocken, in jeder Hinsicht. Aber Mike Tyson war nur 1,80 Meter groß, und trotzdem sind alle gefallen wie Bäume.

Jetzt prahlen sie aber.

Viele Kollegen von mir schleimen, oder sagen etwas aus PR-Gründen. Ich aber sage, was ich denke. Ich bin keiner, der etwas sagt oder tut, damit ihn die Leute beachten oder lieben. Ich bin ein normaler Mensch, ein Mann der Nation. Ich kämpfe für meine Fans. Was ich tue und mache, kommt aus dem Herzen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über Muamer Hukic' Kindheitsflucht vom Balkan nach Deutschland.

Sie sind über Umwegen zum Boxen gekommen …

Ja, das war 2004. Für mich war eine Ehre, überhaupt aufgenommen worden zu sein im Sauerland-Stall. Ich habe nur 15 Amateurkämpfe bestritten. Leute wie Sven Ottke oder Markus Beyer, die unter Wegner Weltmeister wurden, hatten jeweils mehrere hundert Amateurkämpfe in den Fäusten, also eine ganz andere Ausbildung. Das waren Größen. Aber ich habe beim Sparring ordentlich dazwichengepflastert. Das hat Wegner beeindruckt. Der Trainer predigt uns ja jeden Tag: Am Ende zählen Disziplin, Härte und Fleiß.

Stimmt es, dass Ihr Trainer das Training schon für neun Uhr ansetzen musste, damit es um elf Uhr beginnen konnte?

Ach, der Trainer erzählt zu viel (lacht).

Ihr Trainer sagte auch, sie würden wichtige Eigenschaften mitbringen: Geschwindigkeit, Kraft und Herz.

Ein Kompliment. Wegner hat viele Boxer schon gehabt und nach oben gebracht. Ich denke, er sieht mich wie sein eigenes Kind. Er hat mich aus dem Nichts geholt. Das werde ich ihm nie vergessen.

Worauf könnten Sie eher verzichten, auf Geld oder Prominenz?

Sagen wir es mal so, Prominenz ist eigentlich etwas Schönes. Ein Zeichen großer Anerkennung. Sie hat aber auch ihre Schattenseiten. Geld beruhigt. Ich merke in unserer Szene: Je mehr Geld und Prominenz, desto weniger Freunde hast du.

Sind Sie misstrauischer geworden?

Ja, ich vertraue weniger Leuten. Meine Familie gehört dazu. Es gibt so viele Leute, die einem sagen, wie toll man ist. Wenn ich die Wahrheit hören will, gehe ich zu meiner Mutter. Die sagt sie mir.

Und sie nimmt Ihnen das Handy ab, damit Sie sich besser auf einen Kampf konzentrieren können.

Das macht mein Vater. Noch heute. Und ich gehorche.

Was sagten Ihre Eltern, als Sie Ihren eigentlichen Namen Muamer Hukic in Marco Huck eindeutschen ließen?

Klar, das war ein Thema. Ich sehe mich als Deutscher. Ich habe hier den Großteil meines Lebens verbracht. Mir geht es nicht um die deutsche Staatsbürgerschaft, die ist mir zweitrangig. Ich bin bosniakischer Abstammung und wurde im heutigen Serbien geboren. Ich mache dort gern Urlaub, aber als Tourist. Als solcher werde ich auch dort gesehen. Ich meine damit, ich denke und fühle Deutsch. Auch wenn mich meine Eltern und meine Geschwister heute noch mit Muamer anreden. Na gut, meine beiden Schwestern sagen Brudilein zu mir. Aber natürlich war es auch ein Wunsch des Fernsehens, die auf Marco Huck kamen. Ich sehe ihn heute als meinen Künstlernamen an. Ich weiß schon, dass ich auch irgendwo ein Produkt bin.

Wo ist die Grenze?

Ich lehne viele Dinge ab. Ich bin noch immer derjenige, der am Ende entscheidet. Aber sicher habe ich auch Fehler gemacht. Ich habe meine Familie anfangs nicht so geschützt vor der Öffentlichkeit.

Sie meinen damit Ihre Hochzeit in diesem Jahr, die in einem Boulevardblatt ausgebreitet wurde.

Zum Beispiel. Heute trenne ich besser zwischen Beruf und Privatsphäre. Ich sorge mich um meine Familie. Wir leben in einer Neidgesellschaft. Ich habe manches Mal Angst um sie. Ehrlich. Dabei verdanke ich meinen Eltern alles.

Sie sind mit Ihnen 1993 aus Ihrer Heimat nach Deutschland geflüchtet.

Ich war damals acht. Eine Schwester etwas älter als ich, die andere etwas jünger, Vater und Mutter und dann noch mein kleiner Bruder, der war zwei. Vor allem wir Muslime wurden im früheren Jugoslawien terrorisiert: Verschleppungen, Polizeiwillkür - alles dabei.

Wie verlief die Flucht?

Wir sind zuerst von Novi Pazar, unserem Heimatort, mit dem Bus nach Tschechien. Dann wollten wir mit Schleusern weiter durch den Wald nach Deutschland. Sechs Kilometer Fußmarsch mit ein paar Tüten, wo unser Hab und Gut drin war. Wir wurden gefasst und mussten zwei oder drei Nächte in Teplice im Gefängnis verbringen. Keine schöne Erfahrung, aber beim zweiten Versuch hat es dann geklappt, mit dem Auto.

Mit dem Auto?

Ja, Mutter und Vater vorn, wir Kinder alle im Kofferraum des Kombis. Das vergisst man nie.

Wie ging es weiter?

Direkt nach Bielefeld, erst in ein Auffanglager, dann in ein Asylbewerberheim. Das sollte der Ort meiner Jugend werden. Wir hatten dort ein Zimmer. Manchmal haben in diesem Raum über 20 Leute geschlafen. Mein Vater, damals 33 Jahre alt, wollte arbeiten, erhielt aber lange keine Arbeitserlaubnis, obwohl er eine Firma hatte, die ihn einstellen wollte. Das hatte er schriftlich. Das machte mich wütend. Aber na ja, diese Zeit verging. Aber immer dann, wenn ich im Ring stehe, wenn ich mich überwinden muss, dann denke ich daran, was für ein großer Mann mein Vater ist. Wenn ich fast schon am Ende bin, wenn ich in der siebenten oder achten Runde getroffen werde und ich mich frage: Warum machst du das alles?

Heute sind Sie Millionär.

Und wissen Sie was: Dass ich heute meine Familie unterstützen kann, ist ein reiner Genuss für mich.

Womit verwöhnen Sie sich?

Mit Siegen im Ring und dem Ausschlafen danach. Wissen Sie, mein Vater weckt mich sogar im Urlaub. Als wir neulich in der Türkei waren, stand er morgens um sieben vor meiner Tür: Steh auf, laufen! Er fragt immer: Ernährst du dich gut? Bist du gesund? Solche Dinge höre ich hundert Mal am Tag. Das Beste ist, wenn er sagt: Guck mal deine Muskeln, die sind so schlaff geworden. Tu was!

Er kennt Sie halt.

Wenn ich dann im Ringe stehe, suche ich zuerst seine Augen. Mein Vater sitzt immer in der ersten Reihe. Dann schaue ich ihn an. Ich will damit sagen: Mach dir keine Sorgen, Papa, ich klär das schon.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt

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