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© dpa

Martenstein: Der Tod wird zur besten Unterhaltung

Wenn sie Robert Enke im Sarg im Stadion aufbahren, wird es zu viel. Der tote Torwart wird zum Event. Das Spektakel zeigt, wie maßlos, wie distanzlos, wie gierig nach Emotionen und Abwechslungen aller Art wir sind.

In der Vergangenheit ist solch ein öffentlicher Tod entweder eine Strafe oder ein Privileg des Herrschers gewesen. Im Mittelalter waren die Hinrichtungen Volksfeste, bei denen für das Publikum Musik spielte und Imbisse gereicht wurden, der Henker war Showmaster und die besten Plätze teuer. Aufgebahrt und ausgestellt wurden außerdem die Könige und Diktatoren. Es war wohl auch für den Nachfolger wichtig, dass sich das Volk vom Tod des Königs selber überzeugen konnte. In Indien haben sie den toten Maharadscha sogar noch einmal in vollem Ornat für ein paar Stunden auf den Thron gesetzt, vor aller Augen.

Die bürgerliche Trauer war eher etwas Intimes. Der Witwenschleier sollte die Tränen vor der Blicken der Öffentlichkeit verstecken. Man ist heute, wenn jemand seine Gefühle nicht jederzeit jedem zeigen möchte, schnell mit dem Wort "Verdrängung" bei der Hand. Aber Verdrängung hat auch ihr Gutes, wer nichts verdrängen kann, ist vermutlich lebensuntüchtig. Das Zeitalter der Verdrängung ist jedenfalls vorbei.

Ich glaube nicht, dass dieses Todes-Spektakel um jemanden, der, als er noch lebte, allenfalls mittelberühmt war, etwas Positives über unsere Gesellschaft zum Ausdruck bringt, etwa, wie mitfühlend sie doch ist. Ganz im Gegenteil. Das Spektakel zeigt, wie maßlos, wie distanzlos, wie gierig nach Emotionen und Abwechslungen aller Art wir sind. Ein langsamer Tod durch Krankheit wäre, im Fall des Torwarts, für das Publikum nicht halb so interessant gewesen wie ein spektakulärer Freitod. Der Tod ist nicht nur kein Tabu mehr, er ist das Gegenteil eines Tabus, er ist beste Unterhaltung, und bei den Großveranstaltungen feiert man immer auch ein bisschen sich selber. Bilder von Toten haben die Werbung erreicht und die Hitparaden. Auf Platz eins auf der Liste der kommerziell ertragreichsten Todesfälle steht bis auf weiteres Michael Jackson. Der Tod ist, könnte man sagen, einfach ein geiles Gefühl, wahnsinnig intensiv, der ultimative Kick, etwas Besseres als den Tod findest du, unter Marketing-Gesichtspunkten, nirgendwo. Die Toten machen keinen Ärger mehr, die werfen nur noch Gewinn ab.

Die bittere Pointe dieser Geschichte besteht darin, dass der Torwart Angst davor hatte, dass seine Krankheit öffentlich wird. Er wollte, dass niemand davon erfährt. Jetzt wissen es alle. Wahrscheinlich hat er die Dinge ganz richtig eingeschätzt, einen kranken Torwart hätten sie nicht zur Weltmeisterschaft mitgenommen. Aber wenn du deine Intimsphäre wahren möchtest, dann stirb besser nicht. Dann bleib besser am Leben.

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