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Maryna Bech-Romatschuk gewann bei der EM in München die Goldmedaille im Dreisprung.

© Imago/Beautiful Sports

Ukrainische Weitspringerin beim Istaf: Maryna Bech-Romantschuk sieht sich in politischer Mission

Mit russischen Athleten will die Ausnahmeathletin im Moment nichts zu tun haben. Wut und Trauer bestimmen den Alltag neben dem Sport.

Zurückhaltung üben gegenüber Putin, dem russischen Volk, seinen Athleten? Niemals. So sieht das Maryna Bech-Romantschuk. „Russland ist ein terroristischer Staat“, sagt sie dem Tagesspiegel. Mit den russischen Athleten wolle sie nicht mehr reden. „Entweder sie schweigen oder sie unterstützen Putin.“

Die 27-Jährige sitzt am Freitag bei der Pressekonferenz anlässlich des Berliner Leichtathletik-Meetings Istaf neben ihrem Mann, dem ukrainischen Schwimmer Mychajlo Romantschuk, und hält seine Hand. „Die Familie, der Zusammenhalt, das ist jetzt sehr wichtig“, sagt die Ukrainerin.

Bech-Romantschuk ist eine der weltbesten Athletinnen im Drei- sowie im Weitsprung. Wenn man ihr zusieht, wirkt es, als habe sie Sprungfedern an den Füßen. Vor wenigen Wochen wurde sie im Dreisprung Europameisterin, an diesem Sonntag will sie beim Istaf im Berliner Olympiastadion Malaika Mihambo im Weitsprung herausfordern. Vor allem aber will sie auf den Krieg in der Ukraine aufmerksam machen – und immer wieder die Schuldigen benennen, Russland benennen.

Nun könnte man meinen, dass es in der Ukraine im Moment dringendere Themen gibt als den Sport. Aber dieser ist in diesen Tagen und Monaten wichtig für das geschundene Land. Der Krieg zehrt mit jedem Tag mehr an den Nerven der Menschen, er zermürbt. Der Sport lenkt ab und schweißt gleichsam die Nation zusammen.

Wichtige Ablenkung vom Krieg

Als Maryna Bech-Romantschuk in München die Dreisprung-Konkurrenz gewann, war das Medienecho groß. Und als der Boxer Oleksandr Usyk jüngst seinen Titel gegen Anthony Joshua verteidigte, schien für viele Menschen zumindest für ein paar Momente oder Stunden all das Unheil, das der Ukraine widerfährt, vergessen. Bis die nächsten Bomben einschlugen.

„Wir brauchen jetzt gute Nachrichten, Nachrichten, die sich nicht nur mit Krieg befassen“, sagt Bech-Romantschuk. Dennoch sieht sie sich in politischer Mission. „Wir Athleten haben die Möglichkeit, über die Situation in der Ukraine zu sprechen. Außerdem hilft es den Menschen in der Ukraine, wenn bei Siegerehrungen unsere Hymne gespielt wird“, sagt sie.

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Bech-Romantschuk und ihr Mann Mychajlo gehen mit bestem Beispiel voran. Mychajlo Romantschuk gewann bei den European Championships über 1500 Meter Freistil die Goldmedaille, drei Tage später siegte seine Frau in München im Dreisprung. Dass die beiden zu derlei Höchstleistungen in der Lage sind, ist erstaunlich.

Bech-Romantschuk erinnert sich genau an den Tag, als der Krieg begann, der ihr Leben und das Leben vieler Menschen in der Ukraine völlig veränderte. „Mein Vater kam am frühen Morgen in mein Zimmer und sagte: ,Maryna, wach auf, der Krieg beginnt.’ Ich konnte es nicht glauben und fragte: ,Bist du sicher?’ Und er sagte: ,Ja!’.“

Maryna Bech-Romantschuk lebte bis vor sechs Monaten mit ihrer Familie in einer kleineren Stadt im Westen der Ukraine. Nach Ausbruch des Krieges blieb die Ausnahmesportlerin noch zwei Wochen bei ihrer Familie. „Bei uns war die Lage verhältnismäßig ruhig. Wir haben etliche Freunde und Verwandte aufgenommen“, erzählt sie. An Training war für sie in ihrer Heimat genauso wie für ihren Mann, der in der Nähe von Kiew lebte, nicht mehr zu denken.

Fehlendes Mitgefühl russischer Sportler

Seitdem tingeln die beiden durch Europa. Mychajlo Romantschuk trainiert inzwischen zusammen mit Florian Wellbrock in Magdeburg, seine Frau will in den nächsten Monaten gerne auch in Magdeburg sesshaft werden. Wie lange, das kann sie im Moment nicht sagen. „Ich denke jeden Tag an meine Familie, die immer noch in der Ukraine lebt. Ich mache mir große Sorgen“, sagt sie und kämpft dabei mit den Tränen.

Trauer und Wut sind seit Monaten ihre ständigen Begleiter. Für wegen des Krieges gesperrte russische Leichtathletinnen und Leichtathleten hat sie kein Mitleid. „Sie führen ein normales Leben, können in Russland normal trainieren. Für uns ist nichts mehr normal“, sagt sie. Auch würde Bech-Romantschuk nur allzu gerne mal empathische Worte von Seiten der russischen Athletinnen und Athleten hören.

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„Am Tag meines Weitsprung-Wettbewerbs in München ist die Mutter von der ukrainischen Hochspringerin Kateryna Tabaschnyk in Charkiw durch einen Bombenangriff ums Leben gekommen“, erzählt Bech-Romantschuk. „Keiner der russischen Athleten hat irgendetwas dazu gesagt oder Worte des Bedauerns mitgeteilt.“

Ginge es nach ihr, könnte der Bann auf russische Sportlerinnen und Sportler mindestens noch so lange andauern, bis der Krieg beendet ist. Das zeigt auch ihre Reaktion auf den jüngsten „Eklat“ bei den US Open, als die ukrainische Tennisspielerin Marta Kostyuk ihrer belarussischen Gegnerin Viktoria Azarenka den Handschlag verweigerte. Darauf angesprochen, grinst Bech-Romantschuk nur und sagt: „Jeder muss für sich wissen, wie er damit umgeht. Und Marta hat sich dafür entschieden. Das muss man akzeptieren.“

Am Sonntag wird es im Berliner Olympiastadion derlei politische Aktionen nicht geben. Russische Athletinnen und Athleten sind nicht eingeladen. Die größte Gegnerin von Bech-Romantschuk wird die deutsche Ausnahmeathletin Malaika Mihambo sein. Die beiden liefern sich seit Jahren spannende Duelle, meist geht Mihambo als Siegerin hervor. Doch mit dem Rückenwind von München ist Bech-Romantschuk eine sehr ernsthafte Gegnerin für Mihambo. Außerdem springt sie nicht nur für sich. Sondern für die Menschen aus der Ukraine.

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