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Eine Geste für die Dummen. Kevin-Prince Boateng vom AC Mailand bringt sein Missfallen zum Ausdruck. Foto: dpa

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Sport: Mehr als ein Einzelfall

Die Beleidigungen gegen Milans Kevin-Prince Boateng sind weiterer Beleg für Rassismus in Italiens Fußball.

Der AC Mailand hat ein Zeichen gegen den Rassismus gesetzt. Nach Buhrufen gegen seine dunkelhäutigen Spieler bei einem Freundschaftsspiel und einer wütenden Reaktion des Berliners Kevin-Prince Boateng verließen die Rossoneri geschlossen das Feld des Viertligisten Pro Patria. Das brachte dem Berlusconi-Verein viel Beifall und etwas Protest – kurioserweise auch von eigenen Ex-Spielern – ein. Dass damit das grassierende Rassismusproblem im italienischen Fußball gelöst wird, glaubt aber wohl niemand ernsthaft. Rassistische Beleidigungen in Stadien sind trauriger Alltag.

Bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten hatte der damalige Milan-Kapitän Ruud Gullit vorgeschlagen: „Wenn sie buhen, sollten wir das Spielfeld verlassen.“ Doch nichts dergleichen ist bisher geschehen. Erst als es jetzt Boateng traf, nahm der aktuelle Milan-Kapitän Massimo Ambrosini die Idee auf und ermunterte seine Kollegen zum Abgang.

Dies löste weitgehend positive Reaktionen aus. Trainer Massimiliano Allegri unterstützte seine Spieler: „Das war die richtige Entscheidung. Diese unzivilisierten Gesten müssen aufhören. Italien muss intelligenter werden.“ Verbandspräsident Giancarlo Abete und auch sein Kollege vom Verband der unterklassigen Mannschaften Lega Pro, dem Pro Patria angehört, begrüßten den Protest und sicherten Milan Solidarität zu. Damiano Tommasi, Präsident der Spielergewerkschaft, erhofft sich davon „einen schweren Schlag, um den Rassismus endgültig aus den Stadien zu verbannen“.

Doch diese Hoffnung ist trügerisch. Das wurde zunächst am Verhalten des Schiedsrichtergespanns deutlich. Obwohl das Reglement den Referees ermöglicht, bei rassistischen oder antisemitischen Äußerungen ein Spiel zu unterbrechen oder vorzeitig zu beenden, ignorierten sie die Beleidigungen. Gigi Farioli, der Bürgermeister von Busto Arsizio, der Heimat von Pro Patria, gab die Hauptschuld für den Vorfall zwar den „üblichen paar Idioten“. Er kritisierte aber auch, dass Boateng den Ball „mit 200 Sachen auf die Zuschauer gedroschen“ habe. „Dafür wäre er in jedem anderen Stadion Italiens vom Platz gestellt worden. Ich glaube nicht, dass er sich dies im Bernabeu oder San Siro geleistet hätte.“ Damit dürfte er sogar recht haben. Milan hat sich für die Solidaritätsaktion ein Ereignis von geringem sportlichen Wert und geringer Sanktionsgefahr ausgesucht. Wer ein Pflichtspiel abbricht, muss mit Spielsperren und Punktabzug rechnen.

Clarence Seedorf und Gennaro Gattuso, zwei ins Ausland abgeschobene frühere Stars des AC Mailand, werteten aber schon diese Reaktion der ehemaligen Kollegen als „unangemessen“. Gattuso ließ sich sogar zu einer Verteidigung der Gegend um Busto Arsizio verleiten. „Ich wohne dort in der Nähe. Da gibt es viele Ausländer und gar keinen Rassismus“, sagte er dem „Corriere della Sera“. „Ich sehe darin keinen Rassismus. Boateng hat sich vielmehr persönlich beleidigt gefühlt“, sagte Gattuso aus der Ferne. Auch er habe in seiner Karriere viele Beleidigungen hingenommen, wiegelte er ab.

Diese Haltung ist weit verbreitet in Italien. Als Mario Balotelli während seiner Zeit bei Inter Mailand bei fast jedem Auswärtsspiel von den Rängen angegriffen wurde, setzte es zwar Geldstrafen für Vereine wie Juventus Turin. Das Phänomen aber verschwand nicht, Balotelli zog lieber nach England. Selbst der Versuch des Messina-Profis Marc Zoro, der vor acht Jahren bei einem Punktspiel gegen Inter wegen rassistischer Beleidigungen vom Feld stürmen wollte und nur vom massigen Adriano daran gehindert werden konnte, führte zu keinem Aufwachen. Und selbst wenn es jetzt einen Spieler des großen AC Mailand getroffen hat – an einer nachhaltigen Besserung ist weiterhin zu zweifeln. Tom Mustroph

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