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Sport: "Mein einziges Spielzeug war ein Ball"

Der Millionär kennt die Armut und sieht sich jetzt als Botschafter des LeistungsgedankensFrank Bachner Es war Weihnachten, und der kleine Junge hatte alles richtig gemacht. Deshalb schaute er jetzt gespannt auf das Fensterbrett.

Der Millionär kennt die Armut und sieht sich jetzt als Botschafter des LeistungsgedankensFrank Bachner

Es war Weihnachten, und der kleine Junge hatte alles richtig gemacht. Deshalb schaute er jetzt gespannt auf das Fensterbrett. Turnschuhe standen dort. Alte, verschlissene Turnschuhe. Der kleine Junge wollte neue. Neue, schöne, weiße Turnschuhe. "Einen Tag vor Heiligabend", hatte ihm sein älterer Bruder gesagt, "stellst du die Schuhe aufs Fensterbrett, dann bringt der Weihnachtsmann neue." Dann kam der Weihnachtsmann, der kleine Junge erkannte unter dem weißen Bart und dem roten Mantel seinen älteren Bruder, und er erkannte auch, dass der Weihnachtsmann keine neuen weißen Tennisschuhe mitgebracht hatte. Er sollte nie welche bringen, keine Tennisschuhe, aber auch nichts anderes. "In meiner ganzen Kindheit", sagt Alex Alves, "hatte ich nie etwas anderes zum Spielen als meinen Fußball." Auch der war alt. Für einen neuen fehlte das Geld im Haus Alves. Der Vater war Maurer und arbeitete nebenher noch als Schuhmacher, und er hatte sieben Kinder zu ernähren. Der kleine Alex hatte einen sehnlichen Wunsch: "Ich möchte so viel Geld haben, dass ich einen Tag lang mal meine ganze Familie unterstützen kann." Das wünschte er sich noch sehnlicher, als Fußballer zu werden. Das war beachtlich, weil Alex Alves, seit er denken kann, davon überzeugt ist, "dass Gott wollte, dass ich als Fußballer auf die Welt komme". Also hatte er nie einen anderen Berufswunsch. Auf der Schule blieb er keinen Tag länger als nötig, nach der achten Klasse ging er ab. Danach gabs nur noch Fußball.

Alex Alves kennt Armut. Er hat auch keine Probleme, darüber zu reden. "Wir waren zwar arm, aber wir hatten trotzdem eine glückliche Kindheit", sagt er. Es klingt fast trotzig. Alves hat nicht das Gefühl, dass er sich für die alten Schuhe schämen müsste. Als er die Geschichte mit dem Weihnachtsmann erzählt, lacht er sogar. Er hatte keinen Luxus, aber seine Familie. "Das", sagt Alves, "ist das Wichtigste." Deshalb blendet er seine Jugend auch nicht aus, wie es andere machen, die plötzlich viel Geld verdienen und denen ihre Herkunft peinlich ist. Als Alves Profi wurde und erstmals viel Geld hatte, kaufte er seinen Eltern ein Apartment. Jetzt verdient er noch viel mehr Geld, fünf Millionen Mark im Jahr. So viel, schätzt man, überweist Hertha BSC seinem neuen Stürmer. Natürlich gibt er Geld auch aus, sehr viel sogar, "für Klamotten und ein gutes Auto". Aber zuerst kommt die Unterstützung der Familie. Und soziale Projekte will er fördern, wie sein Landsmann Giovane Elber, der Straßenkindern hilft. "Ich möchte", sagt Alves, "dass alle Kinder lachen." Das klingt wunderbar, ein bisschen verträumt und ein bisschen kindlich-naiv. Doch solche Träume sind erlaubt, und Alves ist gewiß nicht naiv. Der Millionär ist alles andere als der große Spender, der wahllos Bedürftige unterstützt.

Eher sieht er sich als lebenden Beweis. Oder zumindest als gutes Beispiel. Als die Verkörperung des Satzes "Leistung lohnt sich". Alves redet viel über "Ziele, die man anstreben muss" und von der "harten Arbeit, die ich hatte, um oben zu stehen". Er sagt es immer mit Nachdruck, und er hört sich dabei an wie ein Botschafter des Leistungsgedankens. "Meine Geschwister müssen sehen, dass sie etwas tun müssen, um aufzusteigen. Ich unterstütze sie, wenn sie wirklich in Not sind. Aber es kann nicht sein, dass Alex bloß kommt und Geld gibt." So könnte auch ein Sozialarbeiter reden.

Doch er ist vermutlich zu schnell nach oben und ans Geld gekommen, um ein makelloses Vorbild zu sein. Er war 20, als er für Sociedade Esportiva Palmeiras Tore schoss. Und auf Partys versumpfte. Und als Polizeischreck galt. Alves wurde weitergereicht, ausgeliehen, als einer von denen, die nicht hartnäckig genug Ziele verfolgen. Doch damals war er noch jung und kein Star. Damals spielte er auch noch nicht für Cruzeiro Belo Horizonte und erzielte auch nicht 54 Tore in 114 Spielen. Doch jetzt, sagt Alves, "bin ich in Brasilien ein Idol". Idol? Naja. Auf jeden Fall ist er bekannt genug, um genügend Fans und Probleme zu haben. In Horizonte benötigte Alves ständig zwei Bodyguards. Fans vom Cruzeiro-Lokalrivalen Atletico Minero attackierten ihn, Kriminelle bedrohten seine Familie. "Ich verdiente viel Geld, ich benötigte Schutz" sagt Alves. Seine Wohnung wurde Tag und Nacht bewacht, und als mal jemand seine Geheimnummer herausfand und anrief, litt er Höllenängste. "Ich bin auch aus Brasilien weggegangen, weil ich mehr Ruhe wollte", sagt Alves. Seine Frau Nadja Franca und sein drei Monate altes Töchterchen Alessandra werden bald nachkommen.

Er braucht die Familie, sagt er. Er braucht sie noch mehr, seit vor vier Monaten sein Vater gestorben ist. Der Vater, der dem jungen Alex beigebracht hat, "dass man sich Ziele setzen und hart arbeiten muss". Für Alves war der Tod des Vaters ein "Schock". Er war sein Vorbild, die Thesen, die der Sohn jetzt verkündet, hat der vom Vater übernommen. An Sylvester, sagt der 25-Jährige, "als jeder gefeiert hat, haben wir nur dagesessen und hemmungslos geweint". Seit sein Vater tot ist, hat er das Apartment in seinem Heimatort Campo Formoso nicht mehr betreten, das er seinen Eltern gekauft hat. Wie lange benötigt man, um solch einen Schlag zu überwinden? "So lange ich nicht alle Ziele erreicht habe, die ich mir setzte", sagt Alves, "werde ich es nie überwinden."

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