zum Hauptinhalt
Zum Lachen, wo es doch zum Heulen ist: Kiefer (links) und Schüttler.

© Frank May/dpa

Mein Olympischer Moment: Küssende Chilenen und vier Gold Medal Points

Nie kam unser Autor dazu, Olympische Spiele zu sehen - bis auf diesen einen Abend. Er erlebte ein legendäres Tennismatch. Eine Erinnerung.

Sommer-Olympia und ich, das war bisher nix. Grund war das Sommerzeltlager in meinem Heimatdorf. Ich hechtete in den Matsch auf der Schwäbischen Alb, während Brink/Reckermann in London Gold holten. Stark wie Matthias Steiner in Peking trug ich Kinder mit Heimweh mitten in der Nacht ans Lagerfeuer, und schnell wie Jan Ullrich in Sydney flitzte ich durch die Wacholdersträucher. Nur 2004 schwänzte ich das Zeltlager – weil ich an einer Supermarktkasse das Geld für meinen Führerschein zusammenstotterte. Bis dann, eines Abends...

Es muss wohl schon nach eins gewesen sein, ich war eben erst heimgekommen und wollte nur mal kurz gucken, was so läuft, da sah ich: Finale im Herrendoppel, und hey – die kenn ich doch: Rainer Schüttler und Nicolas Kiefer gegen zwei Chilenen, Nicolas Massú und Fernando Gonzalez.

Der dritte Satz läuft, es sieht gut aus. Das guckste kurz zu Ende, dann ins Bett. Den Satz tüten die beiden Deutschen ein, 2:1 Führung, aber im vierten müssen sie in den Tie Break. Erster Aufschlag Chile – zack, Minibreak für die Deutschen. Die eigenen Aufschläge halten sie, nächstes Minibreak, 4:0-Führung, das muss es doch eigentlich schon sein. In mir steigt die Vorfreude. Seitenwechsel, Schüttler blockt am Netz, 6:2. Vier Gold Medal Points. Kiefer schließt die Augen, ballt beide Fäuste und schreit seine Freude heraus, ich ziehe mir die Hausschuhe an. Da kann jetzt nix mehr schief gehen.

6:2-Führung im Tie Break - das muss es doch sein

Doch, kann es. Es tut noch heute beim Zusehen weh, wie Kiefer und Schüttler einen Matchball nach dem anderen vergeigen. Beim 5:6 stehen beide vorne am Netz, blocken, was zu blocken ist, einen lassen sie durch, der geht ins Aus – nein, geht er nicht. Nächster Ball: Schüttler am Netz, Volley, das muss es... Mist. Bei 6:6 werden wieder die Seiten gewechselt. Während ich zu Hause Runden um den Couchtisch drehe, hüpfen die Chilenen nach jedem Punkt wie Flummis über den Platz. Satzball Chile – abgewehrt. Nächster Satzball – das war’s. Mit 7:9 verlieren Kiefer/Schüttler den Satz, nach 6:2-Führung.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Egal, fünfter Satz: Bald steht es wieder 3:1 für die Deutschen. Aber dann: Rebreak, noch ein Break, 4:3 für Chile. Die Deutschen kommen zurück, 4:4. Als sie aber prompt wieder den Aufschlag verlieren, küsst Massu den Boden. Um Viertel vor drei holt Chile zum allerersten Mal überhaupt eine olympische Goldmedaille. Nicolas Kiefer sagt später: „Das war die schlimmste Niederlage und dennoch mein größter Erfolg.“ Und ich gehe ins Bett und denke mir: Ach, eigentlich ist es gar nicht so schlimm, dass ich in meinem Leben noch nicht so viel von Olympia mitbekommen habe.

Alle Infos rund um die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro finden Sie auf unserer Themenseite oder im Liveblog.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false