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Sport: Mein Schicksalsspiel (VII): Ein junger Spund trifft mit links

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballer an Spiele, die ihre sportliche Karriere maßgeblich beeinflusst haben. Heute: Jürgen Nöldner.

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballer an Spiele, die ihre sportliche Karriere maßgeblich beeinflusst haben. Heute: Jürgen Nöldner.

Jedes Jahr, am ersten Freitag im Dezember in Berlin, geht es um mein Schicksalsspiel. Dann müssen sich die Rot-Gelben Füchse, hinter denen sich die Kämpen aus alten ASK und Vorwärts-Tagen verbergen, die eine oder andere Spitze von mir gefallen lassen. Das kann ich mir immer noch nicht verkneifen, selbst im hohen Alter von 60 Jahren nicht. Wäre es nämlich nach ihnen gegangen, dann hätte ich als 18-Jähriger die große Chance noch nicht bekommen, die letztlich den Durchbruch für mich bringen sollte. Schließlich waren sie es, wie sie mir später selbst bestätigt haben, die den damaligen Trainer Harald Seeger davon überzeugen wollten, dass für mich ein Europacupspiel noch zu früh kommen würde. Noch dazu gegen die berühmten Wolverhampton Wanderers. Seeger ließ sich zum Glück nicht umstimmen, glaubte an mich als Stürmer in der Meisterelf von 1958. Irgendwie kann ich ja heute die Bedenken verstehen, aber als junger Spund, da sah ich das natürlich völlig anders. Nach meinen vier Toren beim 5:2-Sieg im Junioren-Finale der DDR gegen Rotation Babelsberg da gab es für mich nur noch einen möglichen Weg, den in das Männerteam. Schließlich war ich zu diesem Zeitpunkt bereits elf Jahre aktiv gewesen, und hatte zuvor im ersten Oberligaspiel gegen Einheit Dresden auch gleich zwei Treffer geschafft. Wovor sollte ich denn Angst haben?

Den Stil der britischen Fußballer kannte ich bereits von einem Junioren-Länderspiel, das ich zuvor in Zwickau mitgemacht hatte. Unter den Augen von Stanley Rous, der Jahre später von der Königin geadelt wurde, lagen wir nach 20 Minuten bereits mit 0:3 im Rückstand. Wir konnten das Spiel noch total kippen, wobei mir das 4:3-Siegtor gelang. Gegen die hochbezahlten Profis von Wolverhampton, damals schon eine Spitzenmannschaft in Europa, die in England das Erbe von Manchester United angetreten hatte, jenem Team, das 1958 mit dem Flugzeug abgestürzt war, machte ich mir dann absolut keinen Kopf. Als mir im Hinspiel im Ulbricht-Stadion durch ein Solo das 1:1 gelungen war, da waren auch die gestandenen Vorwärts-Spieler ruhig. Ich war ja auch nicht der Typ, dem etwas zu Kopf gestiegen ist. Auch die Jahre danach nicht, denke ich.

Nur für Gerhard Vogt, immerhin Nationalspieler, wurde es durch mich schwieriger. Seinen Platz in der Oberliga-Mannschaft beanspruchte nun ich. Ohne, dass Trainer Seeger wieder bedrängt wurde, das zu verhindern. Ich erinnere mich noch ganz gut, wie die routinierten Spieler plötzlich ganz anders über mich redeten, den jungen Stürmer, der sich aus Leidenschaft für den Fußball entschieden hatte. Ursprünglich sollte ich ja nach dem Abitur so etwas wie Chemie oder Physik studieren. Aber ein Studium, das war aus meiner Sicht nun absolut nicht mit dem Dasein eines Leistungsfußballers zu vereinbaren gewesen. Wir trainierten wie die Profis, das war mir wichtiger. Wenn der auf dem Teppich bleibt, so sagten sie damals, dann kann aus ihm mal was werden. Die Stimmung war ohnehin bestens, denn wir siegten 2:1 und konnten uns Hoffnungen auf das Weiterkommen machen. Das klappte dann doch nicht, im Rückspiel gab es ein 0:2.

Extra für dieses Spiel in Wolverhampton, das im Fernsehen übertragen wurde, bekamen wir erstmals Adidas-Töppen. Tolle Schuhe damals, die jedoch äußerlich nicht mehr als Markenprodukt zu erkennen waren. Einer der drei Streifen wurde schwarz überpinselt. So war es halt damals in der DDR zum Ende der 50er Jahre. Geholfen oder geschadet hat uns das alles nicht. Natürlich waren wir über das Ausscheiden alle sehr enttäuscht. Für mich, der sich bereits als 9-Jähriger gegen 15-Jährige in Lichtenberg auf der Straße durchgesetzt hat und dort den Spitznamen "Wiesel" bekam, ging es danach ziemlich steil aufwärts. Es gab in meiner Karriere, die ich 1973 beendet habe, noch einige Spiele, die ich ebenfalls herausstellen würde, ohne, dass sie mein Schicksal als Fußballer so beeinflussten wie jenes im Europacup. Ein Jahr darauf durfte ich mit der Nationalmannschaft unter Heinz Krügel in Bulgarien - immer noch als Mittelstürmer - mein erstes Länderspiel bestreiten. Bis 1969 wurden es dann 30, in denen ich 16 Tore erzielte. Zwei Träume erfüllten sich für mich jedoch nie: Im Londoner Wembley-Stadion habe ich nie gekickt. Und ich habe zwar sehr viel von der Welt gesehen, durfte aber nie bei einer Fußball-Weltmeisterschaft spielen. Für 1966 haben wir das Ticket knapp gegen Ungarn durch ein 2:3 verpasst, auch aus Italien 1970 wurde durch die Österreicher nichts. Ja, die Österreicher, gerade an das Spiel gegen sie hätte ich die schönsten Erinnerungen haben können. Vielleicht wäre das WM-Qualifikationsspiel vor 90 000 Zuschauern im Leipziger Zentralstadion sogar zu meinem Schicksalsspiel geworden, wenn mein 1:0-Siegtor in der ersten Minute etwas genutzt hätte. So wurden wir mit der besten DDR-Auswahlmannschaft aller Zeiten Gruppenzweiter, und niemanden interessierte mein Treffer wirklich.

Wenigstens bei Olympia 1964 in Tokio, wo die DDR Bronze holte, war ich dabei. Ich hatte zwar die entscheidenden Qualifikationsspiele nicht mitmachen dürfen, aber Karoly Soos, dessen Lieblingsspieler ich war, ließ sich von kritischen Stimmen wegen meiner Nominierung nicht umstimmen. Später, als ich ihn in Budapest besuchte, habe ich mich dafür bei ihm noch einmal bedankt. Karoly Soos lebt ja leider nicht mehr. Wieder hatte ich es also einem Trainer zu verdanken, dass ich etwas ganz Besonderes erleben durfte. Hinterher hieß es, dass Nöldner der beste DDR-Spieler bei diesem olympischen Turnier gewesen ist. Sogar als Fritz Walter des Ostens wurde ich bezeichnet. Das hing damit zusammen, dass ich längst derjenige war, der seine Mitspieler mit gescheiten Pässen aus dem Mittelfeld in Szene setzte. Dieser Vergleich machte mich stolz, obwohl ich nie besondere Vorbilder hatte. Schon gar nicht hingen bei mir Bilder von irgendwelchen Stars an den Wänden.

Auch nicht von Ferenc Pusks, einem der ungarischen Stars aus dem WM-Finale von 1954 gegen Deutschland. Vom ihm stammte der Ausspruch, dass ein linkes Bein besser sei als zwei rechte. Ob ich nun Mittelstürmer war oder später Regisseur, auf mich traf das wohl auch zu. In meinem Schicksalsspiel als 18-Jähriger traf ich übrigens mit links.

Jürgen Nöldner

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