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Sport: Meister Rampe

Andrea Tafi richtete sich schon 150 Meter vor dem Ziel auf, reckte die Arme in die Höhe, bekreuzigte sich und warf den Zuschauern auf der Zielgeraden von Meerbeke Kusshände zu. Der Italiener hatte nach fast sieben Stunden im Sattel alle Zeit dafür.

Andrea Tafi richtete sich schon 150 Meter vor dem Ziel auf, reckte die Arme in die Höhe, bekreuzigte sich und warf den Zuschauern auf der Zielgeraden von Meerbeke Kusshände zu. Der Italiener hatte nach fast sieben Stunden im Sattel alle Zeit dafür.

Nach einem Solo über die letzten vier der 264 Kilometer gewann der 35-Jährige die 86. Flandern-Rundfahrt, den zweiten Klassiker des Frühjahres. Die großen flämischen Favoriten Johann Museeuw und Peter van Petegem hatte Tafi überrumpelt, als ein Spitzenquintett sich auf taktische Spielchen vor dem Finale einrichtete. Die beiden belgischen Rivalen schauten sich und den Amerikaner George Hincapie bei Tafis Überraschungsangriff nur an, statt nachzusetzen. Daniele Nardello beachteten sie gar nicht, weil klar war, dass er nicht reagieren würde: Der Italiener ist Tafis Teamgefährte.

Den Spurt des Hauptfeldes mit 2:37 Minuten Rückstand um den neunten Platz gewann Mario Cipollini vor Erik Zabel. Der Sieger von Mailand-San Remo verteidigte damit die Führung im Weltpokal. Lance Armstrong kam zeitgleich wie Cipollini auf dem 59. Rang ins Ziel. "Ich bin Zehnter, und kann damit ganz gut leben", sagte Zabel nach seiner zehnten Flandern-Rundfahrt gelassen. "Ich habe das Rennen gesund überstanden und bin zufrieden. Das ist nun einmal der schwerste Klassiker, und die Strecke war noch schwerer als in den letzten Jahren."

Denn zu den ingesamt sechzehn kurzen, aber schmalen, extrem steilen und mit Kopfsteinen gepflasterten Rampen auf dem letzten Drittel der Strecke gehörte nach 15 Jahren erstmals wieder der berüchtigte Koppenberg. Wegen chaotischer Zustände war die mit 22 Prozent steilste Steigung 1986 gestrichen worden. Der Wagen des Renndirektors hatte damals den führenden Dänen Jesper Skibbe umgefahren. Die folgenden Fahrer hatten ihre Räder zum Teil geschultert und waren zu Fuß hinaufgeklettert.

Dieser 550 Meter lange Anstieg, 58 Kilometer vor dem Ziel, war eine Schlüsselstelle des Rennens. Und hier fiel auch die Vorentscheidung. Die Fahrer hatten selbst mit dem kleinsten Gang Mühe, ihr Rad fortzubewegen. Die Hauptgruppe flog bald auseinander. Telekom-Profi Steffen Wesemann war ganz vorn, aber am Fuß der Rampe gestürzt und hatte aufgegeben. "Die Schnalle des Schuhs war gerissen", meinte Wesemann. "Ich war in der Spitzengruppe und wäre auch bis ins Ziel dort geblieben."

Dort hätte er sich in Gesellschaft der Favoriten wie van Petegem, Museeuw, Hincapie und Tafi befunden, die sich nach dem Koppenberg in einer Achtergruppe absetzten. Doch noch mussten neun weitere Anstiege bis zum Ziel bezwungen werden. 19 km vor der Ankunft endete nach fünf Stunden auch die Flucht des Flamen Erwin Thijs, der als letzter der vier Ausreißer übrig geblieben war, die sich früh abgesetzt hatten.

An der legendären Mauer von Geraardsbergen fuhren schließlich fünf Spitzenfahrer ganz vorn: Museeuw, van Petegem, Hincapie, Tafi und Nardello. In der Verfolgergruppe kämpften sich Armstrong und Erik Zabel die Rampe hinauf. Noch 15 Kilometer und noch ein Anstieg, der Bosberg, waren bis zum Ziel zu bewältigen. Doch das Quintett war nicht mehr einzuholen. "Der Koppenberg hat ganz schön Kraft gekostet", sagte Zabel. "Doch es war schon beeindruckend, dieses Spektakel dort mitzuerleben."

Hartmut Scherzer

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