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Freude bei Nico Rosberg, Frust bei Lewis Hamilton.

© AFP

Mercedes-Panne entscheidet Formel 1 in Monaco: Rosberg jubelt, Hamilton trauert, Lauda poltert

Mercedes diskutiert nach dem unverhofften Sieg von Nico Rosberg beim Großen Preis von Monaco über die Konsequenzen der Strategiepanne.

Von Christian Hönicke

Nico Rosberg saß da und grinste das Grinsen eines Lottogewinners. Und nun ja, das war er ja irgendwie auch. Die Art und Weise, wie ihm der Sieg beim Großen Preis von Monaco in den Schoß gefallen war, rangierte in der Wahrscheinlichkeitsskala auf jeden Fall knapp hinter einem Sechser mit Zusatzzahl. „Das war heute vermutlich das meiste Glück, das ich je in meiner Karriere hatte“, sagte der Mercedes-Pilot nach seinem Heimrennen lächelnd. „Aber so ist das im Sport, und ich habe gelernt, das einfach so zu nehmen.“

Die Umstände seines dritten Siegerrendezvous mit Fürst Albert in Folge waren vom Start bis zum Ziel bemerkenswert. Er profitierte von einem Strategiefehler in der Mercedes-Box, die Lewis Hamilton 13 Runden vor Schluss zu einem zusätzlichen Reifenwechsel einberief und damit um den Sieg brachte. Lange war der Deutsche beim Formel-1-Klassiker im Fürstentum hinter seinem Teamkollegen hergefahren, im Grunde chancenlos. Hamilton hatte das Rennen bis dahin so sehr dominiert, dass rund ums Hafenbecken schon Langeweile aufkam. 16 Runden vor Schluss lag er fast 20 Sekunden vor Rosberg und dem drittplatzierten Sebastian Vettel im Ferrari, als das Chaos seinen Lauf nahm. Der Unfall des Toro-Rosso-Piloten Max Verstappen im Kampf um Rang zehn mit dem Lotus-Fahrer Romain Grosjean löste eine Safetycar-Phase und ein unheilvolles Mercedes-Domino aus. Am Ende stand der größte Taktikfehler der Formel 1, seit der Ferrari-Kommandostand Fernando Alonso 2010 in Abu Dhabi den WM-Titel entriss und Sebastian Vettel zuschusterte.

Auch diesmal spielte Vettel eine entscheidende Rolle. Der viermalige Weltmeister konnte zwar in Monte Carlo nicht mit Hamilton mithalten, blieb aber in Schlagdistanz zu Rosberg. Bei Mercedes fürchtete man, der Ferrari-Pilot Vettel würde während der Safetycar-Phase die Reifen wechseln, um mit einem frischen Satz noch einmal „eine Attacke zu reiten“, wie Teamchef Toto Wolff später erklärte. Als Hamilton sich auch noch über seine abbauenden Reifen beklagte, entschloss man sich kurzerhand, ihn sicherheitshalber in die Box zu holen. „Wir dachten, es wäre genug Abstand für einen Boxenstopp, sogar für einen schlechten“, sagte Wolff. Dabei übersahen die Mercedes-Strategen, dass sich Hamiltons Vorsprung bereits entscheidend verringert hatte, um noch vor Rosberg und Vettel zu bleiben, die tatsächlich gar nicht stoppten. Mitschuld daran war delikaterweise ein dritter Mercedes: das von Bernd Mayländer pilotierte Safetycar. „Lewis ist auf das Safetycar aufgelaufen und hat dabei vermutlich Zeit verloren“, sagte Wolff später. Bei Mercedes registrierte man dies nicht rechtzeitig, offenbar aufgrund einer fehlerhaften Zeitenberechnung im Computer und auch deshalb, weil in Monaco kein GPS-System zum Einsatz kam, das die genauen Positionen der Autos auf der Strecke anzeigt. Wolff: „Unsere große Diskussion war: Wie wiegen wir Daten gegen gesunden Menschenverstand auf? Und Menschenverstand ist gut und schön, gewinnt dir auf Dauer aber keine Rennen. Du musst datenorientiert sein. Wir müssen uns jetzt fragen, warum wir uns in den Daten geirrt haben.“

Niki Lauda forderte Konsequenzen nach der Panne bei Mercedes

Immerhin in einem Punkt waren die Daten auch in der Mercedes-Leitung unstrittig. „Nico hat in Monaco den Hattrick geschafft, in ein paar Jahren wird es niemanden mehr interessieren, wie das passiert ist“, sagte Wolff. „Das ist einfach in der Statistik.“ In der Statistik mag das in der Tat irgendwann nur noch eine Randnotiz sein, doch im emotionalen Hier und Jetzt spielten die Umstände eine nicht unbedeutende Rolle. Ausgerechnet der angeblich so kreuzbrave Rosberg feierte erstmals das, was man im Sport einen schmutzigen Sieg nennt. Und er sah keinen Grund, sich dafür zu entschuldigen. „Mit eiskalten Reifen, 40 Runden alt, musst auch du den Sieg auch erstmal ins Ziel bringen“, befand er mit einem selbstbewussten Lächeln und genoss den Fakt, dass er mit seinem dritten Monaco-Sieg hintereinander zur Formel-1-Legende Ayrton Senna aufgeschlossen hatte. „Monaco zu gewinnen ist Monaco zu gewinnen. Ich freue mich.“

Lewis Hamilton war da schon verschwunden. Vorher hatte er den aufmunternden Applaus der Zuschauer als moralischen Sieger und die Abbitte seines Teams standhaft ertragen - das Siegerfoto mit dem ganzen Team und das Mitleid seines Stallrivalen aber wollte er sich nicht auch noch antun. „Ich fühle mit ihm“, schickte ihm Rosberg nach, „das ist eine ekelhafte Art und Weise, ein Rennen zu verlieren.“ Es war förmlich greifbar gewesen, wie sehr die unerwartete und unverdiente Niederlage an Hamilton nagte. Selten hat man den selbstsicheren Briten so niedergeschlagen gesehen wie am Sonntag auf seinem Schleichgang zur Fürstenloge und der Pressekonferenz danach.

Es wird spannend zu sehen sein, ob der folgenschwere Fauxpas seiner Crew irgendwelche tiefenpsychologischen Folgeschäden bei Hamilton im WM-Kampf mit Rosberg hinterlässt.

Die ganze Formel 1 wird darauf schauen, wie der Brite diesen Niederschlag beim nächsten Rennen in Montreal auf der Strecke bewältigen wird. Teamchef Wolff war sich in Monaco schon sicher: „Er ist mental sehr stark und wird zurückkommen.“ Für diese Theorie spricht, dass Hamilton selbst im Moment der tiefsten Enttäuschung die Nerven behalten und die Männer am Mercedes-Kommandostand sogar in Schutz genommen hatte. „Wir gewinnen zusammen und verlieren zusammen“, hatte er kaum hörbar geflüstert.

So blieb es Niki Lauda überlassen, die lauten und scharfen Töne auszupacken. Der Aufsichtsratschef des Mercedes-Rennstalls tobte und zürnte, eine „Katastrophe“ sei die Entscheidung gewesen. In der ersten Erregung forderte er gar „Konsequenzen“. Konsequenzen personeller Art schloss Teamchef Wolff zwar als „undenkbar“ aus, doch zumindest die taktische Herangehensweise dürfte bei Mercedes nun auf den Prüfstand kommen. Es erscheint keineswegs undenkbar, dass das Weltmeisterteam die Entscheidungshierarchien auf dem Gebiet neu sortiert und vom bisherigen Prozedere abrückt, bei dem in Renningenieur James Vowles derselbe Mann die Strategien für beide Autos entwirft. Lauda sprach sich in seiner unnachahmlichen Art dafür aus, künftig den Technischen Direktor Paddy Lowe stärker in die Pflicht zu nehmen. „Es muss da oben einer sitzen, wenn alle Strategen sich zu Tode reden, und das tun sie sehr oft“, sagte Lauda. „Und der muss dann eine logische Entscheidung treffen.“ Manchmal aber hilft Logik auch in der Formel 1 einfach nicht weiter. Manchmal braucht man einfach nur ein bisschen Glück.

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