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Sport: Mit Füßen reden

Frankreich feiert seinen scheuen Weltstar Zinedine Zidane

Der moderne Fußball ist ein Modell gegenseitigen Gebens und Nehmens. Und die wirklich Großen zeichnen sich dadurch aus, dass sie lieber geben als nehmen. Jedenfalls hat Zinedine Zidane am Sonntagabend nicht den Eindruck erweckt, dass ihn die Ehrung für seine Leistung besonders berührt hätte. Nach jedem Spiel der Fußball-Europameisterschaft kürt eine Brauerei den „Man of the Match“. Der wird gleich nach dem Abpfiff vor die internationale Presse geführt, erhält einen ziemlich großen und wahrscheinlich ziemlich wertlosen Pokal und muss dann noch ein paar Fragen beantworten.

Zinedine Zidane trug noch sein vom Schweiß durchnässtes Trikot und schritt in Fußballschuhen in den Saal. Als er den Pokal bekam, lächelte er nicht. Er drehte sich um und ging wieder. „Hey!“, riefen die Journalisten. „Er kommt wieder“, sagte der französische Nationaltrainer Jacques Santini. Natürlich kehrte Zidane nicht mehr zurück. Christian Vieri, sein früherer Kollege bei Juventus Turin, hat einmal über den Franzosen gesagt: „Er spricht zwei Wörter pro Tag.“ Am liebsten redet Zidane mit seinen Füßen.

Am Sonntagabend, im Spiel gegen die Engländer, hatte es ziemlich lange gedauert, ehe der 31-Jährige seine Sprache gefunden hatte. Die Stadionuhr war bereits bei 90:00 stehen geblieben, England führte 1:0, als es in der Nachspielzeit einen Freistoß für die Franzosen gab. Auf den Tribünen hielten die Fans sich ihre Fotoapparate vors Gesicht. Blitze zuckten durch das Stadion, als Zidane anlief, der Ball über die Mauer flog und im Netz landete. Nur ein paar Momente danach verwandelte Zidane einen Elfmeter zum 2:1 für Frankreich. „Das war ein Spiel für die Geschichte“, sagte er hinterher.

Wer Zidane in den letzten Minuten des Spiels beobachtet hatte, wäre nie auf die Idee gekommen, dass dieser Mann der Begegnung noch eine Wende hätte geben können. Aus seinem Körper sprach Resignation, nicht Überzeugung. Kurz vor der Europameisterschaft hatte Zidane gesagt: „Ich bin jetzt auf dem Gipfel meiner Kunst.“ Dann aber schien die EM doch nur so weiterzugehen, wie die Saison bei Real Madrid für ihn geendet hatte: allen Mühen zum Trotz mit nichts als Enttäuschungen.

90 Minuten lang war in Lissabon der Fluch des modernen Hochgeschwindigkeits-Fußballs zu sehen gewesen, der den Spielern weder Zeit noch Raum lässt, ihre Kunst zu entfalten. Frankreichs Trainer Santini sagte: „Die Spieler waren eingesperrt in das System." Und Zidane waren noch zusätzliche Fußfesseln angelegt worden. Es ist ein wenig tröstend, wenn am Ende die individuelle Klasse obsiegt; dass ein Zauberer wie Zidane zwar neunzig Minuten am Zaubern gehindert wird, dann aber nur einen Moment braucht, um Gerechtigkeit herzustellen.

Seit der Weltmeisterschaft 1998 ist Zidane, der Sohn algerischer Einwanderer, der in einer Vorstadt aus Beton aufgewachsen ist, der Held von Frankreich. Eigentlich war die WM kein gutes Turnier für ihn gewesen. Gegen Saudi-Arabien hatte Zidane nach einer Tätlichkeit die Rote Karte gesehen, im Finale aber, beim 3:0-Sieg gegen Brasilien, erzielte er die beiden ersten Tore für die Franzosen. Es waren keine schönen Tore, Zidane hatte einfach zwei Eckbälle ins Netz geköpft. Man wird in Zidanes Spiel immer wieder Momente der Schönheit entdecken – was ihn wirklich auszeichnet, ist seine Zielstrebigkeit.

Die Unterschiede zwischen Zizou, der auf dem Fußballplatz zaubert, und dem scheuen Privatmann Zidane, der am Stadtrand von Madrid ein besseres Reihenhaus bewohnt, sind vielleicht gar nicht so groß, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Zidane fährt keine schnellen Autos, es gibt keine Frauengeschichten von und mit ihm, und er wechselt auch nicht, wie ein Popidol, jeden Monat seine Frisur. Zinedine Zidane ist der einzige Star des Weltfußballs, der sich allein durch sein Spiel abhebt, und nicht durch das Drumherum eines überdrehten Geschäfts. Zinedine Zidane hat es nie anders gewollt.

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