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Sport: Mit innerer Ruhe

Eisschnellläuferin Cindy Klassen hat erst durch ihre Verletzung die nötige Gelassenheit gefunden

„Hi, ich bin Dan“, sagte der Reporter zu Cindy Klassen, als die gerade eine Treppe im Inzeller Eisstadion herunterhastete. Dan kommt aus den USA und arbeitet dort für den bekannten Sender NBC. Und jetzt wollte er ein Porträt über Cindy Klassen machen, im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2006. Klassen ist so etwas wie der Superstar bei der Eisschnelllauf-WM in Inzell. Gold über 1500 Meter, Gold auch über 3000 Meter. Die Kanadierin sagte strahlend: „Das Gold über 3000 Meter hat mich doch überrascht. Ich habe mich nicht so stark gefühlt. Und es ist natürlich etwas Besonderes, die deutschen Mädchen zu besiegen.“ Über 1500 Meter wurde Anni Friesinger Zweite, über 3000 Meter Claudia Pechstein.

So ähnlich erzählte sie es dann auch Dan, dem NBC-Reporter. Wenn der Sender über jemanden berichtet, den zu Hause eigentlich niemand kennt, ist das ein Ritterschlag. „Cindy kann in Calgary durch die Stadt gehen, und kein Mensch erkennt sie“, sagt Neal Marshall, ihr Trainer. „Bei uns in Kanada sind die Eishockeyspieler die großen Stars.“ Andererseits vermisst Cindy Klassen da auch nicht viel. „Sie ist sehr bodenständig, sie würde sich nie in den Vordergrund drängen“, sagt Marshall. Dass die 25-Jährige sich überhaupt für ein TV-Porträt zur Verfügung stellt, kann am Namen NBC liegen oder an der Euphorie nach den beiden Goldmedaillen. „Im Umgang mit der Presse bin ich eher scheu“, sagt sie.

Cindy Klassen hat den rechten Ärmel ihrer Trainingsjacke ganz weit vorgezogen, damit man die Manschette nicht sieht, die sie an eine Schlüsselszene ihres sportlichen Lebens erinnert. Im Herbst 2003 stürzt Cindy Klassen beim Training in einer Kurve. Die Kufe eines ihrer Schuhe bohrt sich in ihren rechten Arm. Sie ist geschockt, Sehnen sind durchschnitten. Klassen wird operiert, fällt monatelang aus. Im Rückblick sagt sie: „Der Unfall hatte auch seine positive Seite. Ich bin mehr zur Ruhe gekommen, mein Körper auch. Er hat das gebraucht.“ Es ging alles zu schnell im Leben der Cindy Klassen, der Aufstieg, der Erfolg, die Fortschritte. „Ich habe mich verdammt schnell entwickelt“, sagt sie. Und es war eine ziemlich bewegte sportliche Vergangenheit.

Die Frau, die deutsche Vorfahren hat, begann als Fünfjährige etwas unbeholfen mit Eishockey, spielte bis sie 14 Jahre alt war mit Jungen und Männern zusammen, wechselte dann zum Frauen-Eishockey, rückte 1994 in den Kader der kanadischen Lacrosse-Mannschaft für die Commonwealth Spiele und machte noch zusätzlich Radsport und Inline-Skating. Doch dann spürte sie, dass sie im Eishockey nicht weiterkam. Sie suchte eine neue Herausforderung und fand den Eisschnelllauf. „Ich mag es, Sachen allein zu machen. Wenn ein Fehler passiert, musst du auch selbst dafür geradestehen.“

Damit bekam die Sportart schon bald eine neue Spitzenläuferin. Klassen blieb als dritte Frau der Welt unter sieben Minuten, verbesserte ihre Bestzeit um 17 Sekunden und gewann bei Olympia 2002 Bronze über 3000 Meter. Im Januar 2003 verbesserte sie im kleinen Vierkampf den Weltrekord von Gunda Niemann-Stirnemann, im Februar 2003 wurde sie Mehrkampf-Weltmeisterin. Im März 2003 gewann sie den Gesamt-Weltcup über 1500 Meter. Aber sie strapazierte dabei ihren Körper. „Sie trainiert extrem hart, man muss sie manchmal stoppen“, sagt Marshall. Klassen hatte den Tunnelblick, sie wollte zu viel. Dann kam der Unfall, der Schock und die heilsame Pause.

Nach ihrer Rückkehr fühlte sie sich innerlich ruhiger. Sie gewann WM-Bronze über 1000 Meter und Silber über 1500 Meter. Und in dieser Saison ist sie die dominierende Athletin über 1500 Meter. Sie verbesserte den Weltrekord und gewann den Gesamt-Weltcup über diese Strecke. Und sie ist noch lange nicht am Ende. Neil Marshall, ihr Trainer, sagt: „Sie kann noch erheblich schneller laufen.“

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