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Sport: Mit Sinn für die Tiefe

Thomas Müller ist jung und spielt erwachsen – als Torschützenkönig und bester Nachwuchsspieler

Vor kurzem ist Thomas Müller gefragt worden, ob seine pfiffigen Antworten in Interviews eigentlich spontan aus ihm heraussprudelten oder ob er sie nicht doch von langer Hand vorbereite. Die Frage sagt einiges über die allgemeine Wahrnehmung dieses jungen Burschen. Müller ist 20, aber ihm wird längst die Abgebrühtheit eines Berufspolitikers zugetraut. Das hängt vor allem damit zusammen, wie Müller sich auf dem Fußballplatz gibt. Der Münchner spielt – bei aller jugendlichen Unbekümmertheit – schon erstaunlich erwachsen.

Sein jungenhaftes Alter hat er trotzdem nicht verheimlichen können, und deshalb ist Thomas Müller von der Technical Study Group des Weltverbandes Fifa völlig zu Recht als „Bester Junger Spieler“ der WM in Südafrika ausgezeichnet worden. Zum Glück war die deutsche Nationalmannschaft schon auf dem Heimweg, als die Entscheidung bekannt gegeben wurde, sonst hätte Müller wohl Probleme mit dem Übergepäck bekommen. Fast sieben Kilogramm wiegt die geschwungene Trophäe aus beruhigtem Stahl. Hinzu wäre auch noch der Goldene Schuh für den besten Torschützen gekommen, den Müller ebenfalls gewonnen hat. Wesley Sneijder, David Villa und Diego Forlan haben zwar auch fünf Tore erzielt; weil Müller aber mehr Treffer vorbereitet hat als seine Konkurrenten, führt er nun offiziell die Torjägerliste an.

Nicht schlecht für einen, der vor der WM gerade zwei Länderspiele bestritten hatte, sich dann aber als nahezu unersetzlich erwiesen hat. Wie sehr die Deutschen den jungen Mann brauchten, hat sich im Halbfinale gegen Spanien gezeigt, als Müller wegen seiner Gelbsperre fehlte. Ihr Auftritt war mutlos und von einem Drang in die Breite geprägt; dem deutschen Spiel fehlte Müllers Sinn für die Tiefe, der nahezu perfekt bei seinem Tor im Spiel um Platz drei zu sehen war. Als Uruguays Verteidiger bei Bastian Schweinsteigers Schuss aus dem Strafraum rückten, um die deutschen Angreifer ins Abseits zu stellen, stieß Müller genau im richtigen Moment in diesen freien Raum und verwertete den Abpraller zum 1:0.

An seiner Wahl zum besten Nachwuchsspieler ist nichts auszusetzen – anders als vor vier Jahren, als das Votum für Lukas Podolski vor allem als Trost für die traurigen Gastgeber gedacht war. Deswegen steht Müller jetzt weniger in einer Reihe mit dem ewigen Versprechen Podolski als mit Pelé und Franz Beckenbauer, die zu Beginn ihrer Karrieren ebenfalls als beste Nachwuchskräfte ausgezeichnet wurden. Und auch als Torschützenkönig befindet sich Müller in illustrer Gesellschaft. Da heißen die Vorgänger unter anderem Eusebio, Ronaldo – und Gerd Müller, dessen heilige Nummer 13 Müller II. in Südafrika auf seinem Rücken getragen hat. Was am Anfang wie eine Anmaßung aussah, ist im Nachhinein nur gerecht gewesen. „Der Junge kann alles“, hat G. Müller über T. Müller gesagt. Er kann sogar der 13 zur Ehre gereichen. Stefan Hermanns

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