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Mitchell Weiser, 21, kam im Sommer vom FC Bayern München zu Hertha BSC, wo er es zum Stammspieler und zum besten Vorlagengeber brachte. Der gebürtige Troisdorfer durchlief viele Nachwuchs-Nationalmannschaften und hat gute Chancen, für das Olympiateam berufen zu werden.

© imago/Sebastian Wells

Der Profi von Hertha BSC im Interview: Mitchell Weiser: "In Deutschland will man angepasste Menschen"

Mitchell Weiser erzählt vor seiner Rückkehr nach Köln, warum er nach dem ersten Spiel gegen den FC geweint hat, redet über Olympia und seine Erfahrung mit den Medien.

Herr Weiser, Sie sind in der Nähe von Köln geboren. Fühlen Sie sich als Rheinländer?

Auf jeden Fall. Ich habe im Rheinland meine Jugend verbracht, bin dort sozusagen erwachsen geworden. Das prägt.

Ist es für einen Rheinländer nicht befremdlich, zehn Tage nach Aschermittwoch Karneval zu feiern, so wie es Herthas Mannschaft am Samstag getan hat?

Die Feier hatte ja nichts mit Karneval zu tun. Ich bin auch nicht so der Karnevalstyp. Karneval in Köln ist mir zu heftig, zu groß. Aber die Party war schön. Hat Spaß gemacht und war mal was anderes hier.

Wie haben Sie sich verkleidet?

Ich war Karl Lagerfeld.

Am Freitag treten Sie mit Hertha BSC beim 1. FC Köln an. Erinnern Sie sich noch, wann Sie das erste Mal in Müngersdorf im Stadion waren?

Ich weiß das sogar noch ziemlich genau. Mein Vater hat mit Wolfsburg in Köln gespielt, und wir durften mit unserem Dorfverein das Vorspiel gegen den FC bestreiten. Das muss in der F-Jugend gewesen sein. Wir haben 0:7 verloren. Danach habe ich geweint. Jahre später habe ich in dem Stadion mein Bundesligadebüt gefeiert, und jetzt komme ich zum ersten Mal seitdem dorthin zurück.

Mit 17 sind Sie aus Köln zu den Bayern gegangen – zum größten Verein in Deutschland. Das gibt man eigentlich nicht einfach so auf. Womit hat Hertha Sie bekommen?

Das werde ich Ihnen jetzt nicht verraten. (Lacht.)

Dann verraten Sie uns wenigstens, worauf Sie besonderen Wert gelegt haben?

Mir war das Gefühl wichtig, ich komme in eine Mannschaft, die mich braucht und wo ich Stammspieler sein kann. Das ist das Wichtigste: regelmäßig zu spielen, Abläufe in den Kopf zu bekommen, Sicherheit in sein Spiel zu kriegen. Die Stadt hat auch eine Rolle gespielt. Ich könnte nicht in irgendeiner Kleinstadt Fußball spielen. Ich brauche Leute um mich herum, ich muss auch was sehen, damit ich mich wohl fühle.

Was haben Sie denn gedacht, wo Hertha Sie mehr braucht: vorne rechts oder hinten rechts?

Ich wusste, dass ich bei Hertha die Chance habe, auf beiden Positionen zu spielen. Aber erst in der Vorbereitung hat sich ergeben, dass ich häufiger hinten gespielt habe. Im Kopf hatte ich jedenfalls nicht, dass ich nur als rechter Verteidiger hier hinkomme.

Hat sich Ihre Einstellung zu dieser Position gewandelt?

In der U-17-Nationalmannschaft hat Steffen Freund mir mal gesagt, dass er mich als rechter Verteidiger sieht. Damals wollte ich das noch nicht hören, weil ich lieber vorne gespielt habe. Jetzt bin ich sehr zufrieden mit der Position. Sie macht viel Spaß.

Hängt das auch damit zusammen, dass es der kürzeste Weg in die Nationalmannschaft ist?

Damit hat das nichts zu tun. Ich bin nicht in der Vorbereitung zu Pal Dardai gegangen und habe gesagt: Ich will rechter Verteidiger spielen – weil in der Nationalmannschaft für diese Position noch Spieler gesucht werden. Ich glaube einfach, dass ich dort am besten bin. Besser als auf Rechtsaußen.

Warum?

Weil ich das ganze Spiel vor mir habe. Ich kann es nicht genau erklären, aber verteidigen macht mir auch viel Spaß. Ich mag Eins-zu-Eins-Situationen. Auf den offensiven Außenbahnen sind ja meistens technisch sehr gute Spieler unterwegs. Wenn du die aufhalten kannst, ist das schon eine Befriedigung.

Pal Dardai hat Sie als kleinen Spielmacher bezeichnet.

Als Spielmacher sehe ich mich nicht, aber ich versuche, was fürs Spiel zu machen. Der Trainer verlangt von mir, die spielerische Lösung zu suchen und von außen Einfluss zu nehmen. Ich weiß, dass ich das kann.

Würde Ihnen die Position auch Spaß machen, wenn Sie sie so interpretieren müssten, wie es Ihr Vater getan hat?

Ich war damals immer im Stadion und habe gehofft, dass er mal ein Tor schießt. Leider habe ich nie eins gesehen. (Lacht.) Aber mein Vater war gar nicht so defensiv. Ich meine mich an eine Saison in Wolfsburg zu erinnern, in der er ligaweit die meisten Flanken geschlagen hat.

Nicht nur fußballerisch ein Vorbild - auch frisurentechnisch. Mitchell Weiser mit seinem Vater Patrick.
Nicht nur fußballerisch ein Vorbild - auch frisurentechnisch. Mitchell Weiser mit seinem Vater Patrick.

© Imago

Gibt Ihnen Ihr Vater Ratschläge?

Natürlich. Ich ihm aber auch. Er macht ja gerade seinen Fußballlehrer, und ich kann ihm sagen, was ich bei meinen Trainern gut finde. Mein Vater ruft mich auch mal nach einem Spiel an. Er ist aber kein großer Kritiker von mir. Er versucht immer das Positive zu sehen.

Sie waren im vergangenen Halbjahr immer mal wieder verletzt – und haben trotzdem viele Spiele für Hertha bestritten, und die auch noch sehr gut. Wie erklären Sie sich das?

Ich hatte echt Glück im Unglück mit den Verletzungen. In der Vorbereitung habe ich mich am Knie verletzt und bin vier Wochen ausgefallen. Das war die längste Pause. Als ich den kleinen Zeh gebrochen hatte, konnte ich zwar kaum trainieren. Aber ich bin gespritzt worden und konnte wenigstens spielen. Mehr oder weniger.

War das Ihre Entscheidung?

Der Arzt hat gesagt, dass es ein sehr feiner Bruch war, so dass nichts Schlimmeres passieren konnte. Es war einfach nur schmerzhaft. Die Spritze hat auch wenig geholfen, die hat nur eine halbe Stunde gewirkt, aber mit dem Adrenalin war es okay.

Hat es Sie stolz gemacht, den Schmerz ertragen zu haben?

Stolz hat mich gemacht, dass ich nicht so schlecht gespielt habe. Die Schmerzen merkt man im Spiel nicht so. Aber es war nicht einfach. Ich konnte keine normalen Schuhe anziehen, war immer mit Badelatschen unterwegs. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich überhaupt spielen kann. Aber die Physios haben mich sanft dazu gedrängt. Und es hat sich gelohnt.

Hertha hat Ihnen schon nach einem halben Jahr eine Vertragsverlängerung angeboten. Haben Sie nicht gedacht: Moment, das geht mir jetzt alles zu schnell.

Nein, das war eher eine Bestätigung für mich, dass das erste halbe Jahr perfekt gelaufen ist. So, wie ich mir das vorgestellt habe. Und dass Hertha das honoriert.

Wie ist der Stand der Dinge?

Da gibt es keinen Stress. Wir haben noch einiges vor in der Rückrunde, und mein Vertrag läuft bis 2018. Alles Weitere kann man auch nach der Saison noch besprechen.

Waren Sie sportlich jemals zufriedener als im Moment?

Was heißt zufrieden? Wir können gar nicht zufrieden sein. Wir wollen jedes Spiel gewinnen und haben das jetzt schon fünf Mal nicht geschafft. Das ist das, was zählt. Und nicht, was mit mir persönlich ist. Ob ich zu Olympia fahre oder irgendjemand von der A-Nationalmannschaft meinetwegen auf der Tribüne sitzt. Das ist unwichtig.

Trotzdem: Schwirrt Ihnen Olympia gelegentlich durch den Kopf?

Natürlich ist Olympia mein Ziel. Ich will unbedingt dabei sein.

Was ist mit dem anderen großen Turnier im Sommer?

Daran verschwende ich überhaupt keinen Gedanken. Ich werde jetzt öfter danach gefragt – warum, weiß ich auch nicht. Sollte ich für die EM nominiert werden, erfahren Sie das ja auch rechtzeitig. Vorher muss ich mich damit nicht beschäftigen.

Bei den Bayern haben Sie gelegentlich auch außerhalb des Platzes für Schlagzeilen gesorgt. War das der Versuch, unter all den Stars nicht ganz in Vergessenheit zu geraten?

Ganz sicher nicht. Was meinen Sie, warum darüber niemand mehr redet? Weil’s jetzt gut bei mir läuft. So sind die Medien leider. Wenn jemand schwach ist, stürzen sich alle auf einen. Heute könnte ich das Gleiche machen, und keinen würde es interessieren.

Haben Sie aus dieser Erfahrung Ihre Konsequenzen gezogen?

Ich habe vor allem gelernt, wie Medien funktionieren. Auch bei dem Foto mit David Alaba im Tanga. Ich habe das nie bereut. Ich finde es heute noch witzig. Was die Leute daraus gemacht haben, kann ich ja nicht beeinflussen.

Sie haben in einem Interview sogar über die Gleichförmigkeit der Fußballer geklagt, darüber, dass viele ihrer Aussagen austauschbar sind.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Aber die Antworten nach einem Spiel klingen schon alle ziemlich ähnlich. Das ist schade, weil dadurch die Persönlichkeit ein bisschen verloren geht. Vor allem bei den deutschen Spielern. Die Spieler aus dem Ausland sind da noch ein bisschen relaxter.

Woran liegt das?

Es ist in Deutschland so, dass man angepasste Menschen will. Nicht nur im Fußball, sondern eigentlich fast überall. Man muss einer bestimmten Norm entsprechen.

Dafür freut man sich umso mehr, wenn Rudi Völler mal wieder richtig aus der Haut fährt.

Genau. Ich fand’s geil. Da gibt’s gar nichts dran auszusetzen. Wenn man sauer ist, muss man auch mal seine Meinung sagen können, auch im Fernsehen.

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