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Sport: Modell Deutschland

Die Kroaten orientieren sich an ihrem heutigen Gegner

Split. In der Lobby des Hotels Split sitzen Männer in meist schwarzen Lederjacken, rauchen schwarze Zigaretten, trinken schwarzen Kaffee und schwatzen. Leuchtende Schriftzüge weisen auf die Attraktionen des Drei-Sterne-Hotels mit Blick aufs Meer hin: Casino Adriatic und American Go Go Club. Striptease und Tabledance sind nicht gerade das passende Ambiente im Quartier einer Nationalmannschaft. Die Fußballer in ihren grauen Freizeitanzügen werden von den Wartenden an der Hotelbar mit Bruderküssen links und rechts auf die Wangen begrüßt. Man kennt sich und freut sich über das Wiedersehen. Nahezu der komplette kroatische Kader spielt im Ausland, verstreut über ganz Europa, von Lissabon bis Moskau, von Bremen bis Donezk.

Dado Prso, 29 Jahre, neun Länderspiele, ein Kerl mit der Figur eines Schwergewichtsboxers, stößt die geballten Fäuste gegeneinander. „Très physique“, sagt er auf Französisch, werde das Spiel gegen die Deutschen. Sehr kampfbetont. Der wuchtige Torjäger vom AS Monaco lebt seit zehn Jahren in Frankreich und ist der neue Fußballheld Kroatiens. In den Play-off-Spielen für die EM hat er die beiden entscheidenden Tore gegen Slowenien erzielt.

Prso ist nicht der einzige gefährliche Angreifer der Kroaten. Auch Ivan Klasnic vom SV Werder Bremen gehört zu ihnen. „Ein geborener Stürmer und ein intelligenter Bub“, sagt Otto Baric. Der bereits 71 Jahre alte Nationaltrainer, früher auch Trainer beim VfB Stuttgart, jammert: „Groooße Probleme.“ Fünf Spieler fallen gegen die Deutschen aus: Tudor von Juventus, Rapaic von Ancona, Kranjcar aus Zagreb, Mornar von Portsmouth und Sokota von Benfica. Klasnic wird daher gegen die Deutschen wahrscheinlich von Anfang an spielen.

Das andere Talent, Niko Kranjcar, ist erst 19 Jahre alt. Baric hätte Kroatiens größte Fußballbegabung zu gern aufgeboten. Doch wer weiß, wozu dessen Absage letztlich gut ist. Kranjcar spielt bei Dinamo Zagreb, und wer aus der Hauptstadt kommt, ist in Split verhasst. Gegen die Fan-Feindschaft zwischen Hajduk Split und den Klubs aus Zagreb sind die Anhänger von Schalke und Borussia Dortmund geradezu Freunde. Splits Fan-Gemeinde hat zum Boykott des Länderspiels gegen Deutschland aufgerufen. Der Protest richtet sich nicht gegen die Deutschen, sondern gegen den Verband in Zagreb. Seit sieben Jahren finden keine Pflichtspiele der Nationalmannschaft mehr in Split statt. Die Stadt an der Adria wird nur noch gelegentlich mit Testspielen abgespeist.

Sechs Spieler aus der Bundesliga stehen in Barics Kader. Für den Trainer sind sie „sehr wichtig, auch weil wir jetzt den gleichen Stil wie die Deutschen spielen. Wir treten jetzt als geschlossene Einheit auf.“ Die Qualität der Mannschaft sei nicht mehr mit der des WM-Teams von 1998 zu vergleichen, das damals Dritter wurde. „Wir haben keine kreativen Individualisten mehr wie damals Boban, Boksic, Prosinecki oder Suker, die allein Spiele entschieden. Aber auch die Deutschen haben keinen Beckenbauer mehr.“ Wie für Deutschland ist auch für Kroatien das Spiel ein Test im Hinblick auf die EM. Baric sagt, „dass wir unser Niveau der Qualifikation für die Endrunde in Portugal um mindestens 20 Prozent steigern müssen“. Daher sei das erste Länderspiel des Jahres so wichtig: „Wir wollen wissen, wo wir stehen.“

Hartmut Scherzer

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