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Sport: Münchner im Himmel

Eine große EM-Kulisse und ein erhebendes Gefühl

München. Selbstverständlich hat Sabine Wagner auch sonst Zuschauer. Ihre Freunde zum Beispiel. Oder entferntere Bekannte. Manchmal kommen sogar Leute, die sich für ihren Sport interessieren. Und manchmal fiebern dann auch diese Leute mit, wenn sie 100 m läuft und dafür rund 14 Sekunden benötigt. Das ist sehr schnell für eine Unterschenkelamputierte. Am Freitagabend sahen ihr 40 000 Leute zu. Und 40 000 Leute klatschten nach ihrem Sieg über 100 m so intensiv, dass Sabine Wagner eine Gänsehaut bekam. „Es ist absolut schön, vor so einer Kulisse zu laufen“, sagte die 37-Jährige.

Gut, die 40 000 im Münchner Olympiastadion waren nicht wegen des Einlagerennens der Behinderten über 100 m gekommen, sie waren wegen der Leichtathletik-Europameisterschaft aufgetaucht. Aber dass diese ganzen Zuschauer nicht ungeduldig auf die Uhr blickten, als Wagner, Laborenz und andere spurteten und das Wettkampfprogramm der EM unterbrachen, sondern auch diese Athleten anfeuerten, das zeigt, wie gut die Atmosphäre und wie mitreißend die Kulisse im Olympiastadion ist.

„Das ist ein unglaubliches Publikum“, sagt die 800-m-Läuferin Claudia Gesell vom TSV Bayer Leverkusen. „Ohne dieses Publikum hätte ich nie Silber geholt. Man steht am Block und bekommt Gänsehaut. Das Publikum soll ein Teil meiner Medaille abhaben“, sagt Grit Breuer, die Vize-Europameisterin über 400 m. Sie ist seit vielen Jahren dabei, sie hat unzählige Wettkämpfe erlebt, „aber so etwas wie hier habe ich noch nie erfahren". Und Dieter Baumann, der Vize-Europameister über 10 000 m, will sich „ausdrücklich bei diesen Zuschauern bedanken. Normalerweise höre ich unten auf der Bahn nichts, weil ich wie im Tunnel laufe. Aber diese Anfeuerungen waren nicht zu überhören." Es gibt keinen, der das Kommando gibt., der Leute zum Jubeln und Schreien und Anfeuern animiert. Diese mitreißende Stimmung ist einfach da. Leuten, die sehr lange schon dabei sind, fällt nur ein Vergleich ein: die WM 1993 in Stuttgart. Dort feierten die Zuschauer um 23 Uhr, eine Stunde nach Ende des Zehnkampfs, die Athleten. Paul Meier aus Leverkusen gewann damals Bronze, und als er die x-te Ehrenrunde lief, hatte er „nur noch Gänsehaut". So ähnlich ist es jetzt in München.

Dass es nicht ganz so intensiv ist, liegt wohl am Wetter. In Stuttgart, 1993, herrschten auch um 23 Uhr noch warme Temperaturen. Es waren Bedingungen wie in Südeuropa. In München ist es derzeit abends kühl und oft regnerisch. Aber gerade da muss man den Jubel erlebt haben, als Paula Radcliffe im strömenden Regen im 10 000-m-Lauf Runde um Runde drehte, umtost von rauschendem Beifall. Sie lief wie in Trance , angefeuert von Zuschauern, die teilweise durchnässt waren bis auf die Haut. Radcliffe, die Britin, verbesserte den Europarekord um zwölf Sekunden, und ihre Ehrenrunde wurde zum Triumphzug.

Rund 300 000 Zuschauer werden diese EM insgesamt im Stadion erleben. „Daran hätte ich im Traum nicht gedacht“, sagt Wilfrid Spronk. Der Vize-Präsident des EM-Organisationskomitees „hatte mit 180 000 Fans gerechnet. Auf 200 000 hatte ich gehofft.“ Aber allein an den ersten vier EM-Tagen kamen 209 200 Zuschauer. Und die machten solch ein Spektakel, dass der deutschen Sprinterin Sina Schielke nur noch ein Wort einfiel: „Wahnsinn." Frank Bachner

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