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Sport: Mut zum Star

Jenny Wolf gehört schon lange zu den Größen des Eisschnelllaufs – jetzt akzeptiert sie es auch selbst

Berlin - Gunda Niemann-Stirnemann ist an diesem Freitagvormittag auch in der Eisschnelllauf-Halle in Berlin-Hohenschönhausen, sie begleitet eine Trainingsgruppe ihres Erfurter Klubs. Plötzlich kommt ihr Jenny Wolf entgegen. „Komm her, Mädel“, sagt Niemann-Stirnemann, „lass dich umarmen. Gratuliere.“ Dann fällt die Eisschnellläuferin des Jahrhunderts, dekoriert mit acht olympischen Medaillen, der 28-Jährigen um den Hals.

Jenny Wolf vom Sportclub Berlin ist beim Weltcup in Calgary am vergangenen Wochenende über 500 Meter 37,02 Sekunden gelaufen. Das war Weltrekord, zwei Hundertstelsekunden schneller als ihre eigene, bisherige Bestmarke. Ihre ersten 100 Meter wurden mit 10,13 Sekunden gemessen, so schnell war noch nie eine Frau auf der Welt. Einen Tag später lief sie 37,15 Sekunden, damit gewann sie ihr 14. Weltcuprennen.

Als Niemann-Stirnemann gratuliert, können weder sie noch Wolf ahnen, dass ein paar Stunden später der Weltverband ISU mitteilt, es habe in Calgary Probleme mit der Zeitmessung gegeben, möglicherweise würden die Weltrekorde annulliert. „Es ist schlecht, wenn man nicht sicher sein kann, dass korrekt gemessen wurden“, sagt Jenny Wolf später.

An ihrem Status ändert das nichts. Sie gehört fest zur Weltklasse, sie hat zweimal den Gesamtweltcup über 500 Meter gewonnen, sie ist inzwischen aus dem Schatten von Anni Friesinger und Claudia Pechstein. Vor allem aber hat sie kein Problem damit, dass das jeder mitbekommt. In der Saison 2005/2006 begann ihr Aufstieg in die Weltspitze, doch damals sagte sie auch: „Ich weiß nicht, ob es mein Interesse ist, dass nun viele auf mich schauen.“ Sie lebte zu sehr zufrieden in der Unauffälligkeit.

Jetzt sagt sie lächelnd: „Ich sehe mich jetzt schon auf Augenhöhe mit Friesinger und Pechstein.“ Und wenn sie jetzt 19 Jahre alt wäre, „würde ich mich auch so inszenieren, wie die beiden es gemacht haben“. Das bedeutete einen vollkommenen Rollenwechsel. 2004 noch fühlte sie sich denkbar unwohl, als sie mit einem Vertreter ihres Sponsors Smalltalk halten sollte. „Man gewöhnt sich an das Medieninteresse“, sagt die 28-Jährige. Seit sie in der Weltspitze ist, hat sie die ganze erlaubte Werbefläche auf ihrem Anzug mit Logos abgedeckt. Als der Verbandssponsor im Frühjahr für Werbeaufnahmen die prominentesten deutschen Läuferinnen auf ein Sofa setzte, durfte neben Pechstein und Friesinger auch Jenny Wolf aufs Bild. Sie sitzt rechts außen.

Die Literaturstudentin kann sich der Rolle als weiterer Star im deutschen Eisschnelllauf gar nicht mehr entziehen. Ihre Umwelt sorgt dafür. Bei einem Wettkampf in Berlin vor wenigen Wochen bekam sie mit, dass jeder deutsche Läufer, der auf den ersten 100 Meter langsamer war als sie, zur Strafe 50 Liegestützen machen musste. Ein nettes Spielchen natürlich, ein Joke, aber nicht ohne tieferen Hintersinn. Denn ihre Sprintfähigkeit ist enorm. Schließlich hat in Calgary sogar Thomas Schubert gesagt: „Jenny, du hast mich beeindruckt.“ Schubert ist seit 12 Jahren Wolfs Trainer, ein Lob von ihm, das über eine Floskel hinausgeht, hat bemerkenswerten Seltenheitswert. Inzwischen akzeptiert er sogar, wenn sie mal eine veränderte Trainingszeit vorschlägt.

Jetzt möchte Jenny Wolf zum dritten Mal in Folge Gesamt-Weltcupsiegerin über 500 Meter werden, „das hat noch nie eine Frau geschafft“. Aber an Gunda Niemann-Stirnemanns Erfolgsbilanz, acht olympische Medaillen, 19 WM-Titel, kommt sie natürlich nicht heran. Deshalb ist sie auch so „stolz über das Lob“ der erfolgreichsten Eisschnellläuferin aller Zeiten. Jenny Wolf weiß noch sehr genau, wie sie als Jugendliche bei einem Weltcup in Berlin dem Star Niemann hinterhergelaufen ist, um ein Autogramm zu bekommen. „Gunda“, sagt sie, „hat dann immer noch so einen kleinen Schlittschuh dazu gemalt. Das fand ich total toll.“

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