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Der König und das Tafelsilber. König Jun Carlos mit der EM-Trophäe 2008.

© AFP

Nach dem Debakel in der Champions League: Spanien: Der Fußballhimmel stürzt ein

"Albtraum", "Desaster", "Debakel", "Untergang", schreit es von den Titelseiten der spanischen Presse. Das letzte Prestigeobjekt, der Fußball, wird nun auch von den wenig geliebten Deutschen dominiert.

Beerdigungsstimmung in der Fußball-Bar „Verdi“ in einem Madrider Vorort. Mit jedem Tor, das Dortmunds polnischer Stürmer Robert Lewandowski in den Kasten des spanischen Rekordmeisters Real Madrid knallt, werden die Gesichter länger. Dabei fing der Abend an der Theke doch so launig an. „Madrid macht Dortmund heute platt“, rief einer der Gäste übermütig in die Runde. Die Freunde ließen begeistert die Biergläser klingen und das königliche Team um Ronaldo, Özil & Co hochleben. Geholfen haben diese Beschwörungen nicht.

Am Tag nach der „katastrophalen Nacht für Real Madrid“, wie die Sportzeitung „Marca“ schreibt, stehen die Fans und große Teile der spanischen Nation immer noch unter Schock: Die Dortmunder „Dampfwalze“, urteilt „Marca“ entsetzt, habe das Madrider Team buchstäblich „überfahren“. Am Vortag kassierte bereits der FC Barcelona, Spaniens Liga-Anführer, gegen Bayern München vier Tore. Und nun schickte der Arbeiterverein aus Dortmund auch noch die Fußball-Millionäre von Real Madrid mit 4:1 nach Hause.

„Albtraum“, „Desaster“, „Debakel“, „Untergang“, schreit es von den Titelseiten der spanischen Presse. „Das Ende einer Ära?“, fragt sogar apokalyptisch die Sportzeitung „As“. In diesen Tagen stürzt im Krisenland Spanien, das bisher wenigstens die sportlichen Erfolge seiner Kicker bejubeln konnte, ein Teil des Fußballhimmels ein. Auch weil es doch um ein bisschen mehr ging als nur um Fußball. Das deutsch-spanische Doppelduell im Halbfinale der Champions League war vielerorts zu einem nationalen Kräftemessen zwischen den Südeuropäern und den Deutschen hochgeredet worden. Zwischen jenem Volk, das wirtschaftlich im Tal ist und den „reichen“ Deutschen, wie sie in Spanien oft gesehen werden.

Obwohl nach den Spielen feindliche Töne gegenüber Deutschland zunächst ausblieben, ist nicht zu übersehen, dass südlich der Pyrenäen eine gewisse Abneigung gegen die übermächtig wirkenden Deutschen und ihre Bundeskanzlerin Angela Merkel wächst. Man findet heutzutage kaum eine spanische Zeitungsausgabe, in welcher Merkel, der „eisernen Lady“ Europas, nicht die Schuld an der spanischen Wirtschaftskrise zugeschrieben wird. „Rote Karte für Merkel“, lautet denn auch ein Protestslogan im Land.

„Wir sind Weltmeister und Europameister“, macht Madrid-Fan Fernando Aguila seinen Landsleuten an diesen fürchterlichen Fußballtagen Mut. „Und wir sind noch nicht fertig.“ Ja, in den Rückspielen würden die Deutschen schon noch ihr blaues Wunder erleben.

Andere sind nicht ganz so optimistisch. „Vielleicht sollten die spanischen Fußballer nach Deutschland auswandern“, meint Pedro Rodriguez. So wie zehntausende junge Spanier, die hoffen, in „Alemania“ Arbeit zu finden. Eine Massenarbeitslosigkeit von inzwischen 27 Prozent treibt immer mehr Menschen in Not. Mehr als sechs Millionen Menschen ohne Beschäftigung. Die Armut wächst, genauso wie die Schulden der Familien. Proteste und Streiks werden immer radikaler, lähmen zusätzlich das Land. In diese gespannte Stimmung fällt der Halbfinal-Schock. „Spanien ist mit seinem Fußball auf dem Niveau seiner Wirtschaft angekommen“, ätzt ein Kommentator.

Soziologen warnen vor einer sozialen Explosion, wenn nicht bald jenes wirtschaftliche Wunder eintrifft, das Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy schon länger verspricht. Doch darauf hört sowieso kaum jemand. Die Umfragen singen ein Lied davon, dass die Politiker das Letzte sind, woran die Spanier noch glauben: Königshaus, Regierung, Parteien sind gleichermaßen unten durch. Gelten als korrupt und abgehoben.

Und nun sind auch noch die spanischen Fußball-Helden, die dem darbenden Volk bisher viel Zerstreuung und Erfolge boten, im Tief. Schießen nicht mehr jene „Tore gegen die Krise“, welche so wichtig für das seelische Wohl der Nation waren. Die übrigens schon länger nicht mehr so lebenslustig ist, wie es Klischees vom Land der Fiesta und Sangria glauben machen wollen. Jobverlust, finanzielle Not, Perspektivlosigkeit belasten. Immerhin haben die Psychologen viel Arbeit, die Zahl der Selbstmorde steigt.

Weil Fußball eine Art Opium für das Volk ist, hat Spaniens Regierung stets ihre schützende Hand darübergehalten. Dabei trügt der Schein der spanischen Primera Division, die bisher als beste Liga der Welt galt, schon länger. Viele Klubs stehen vor der Pleite. Die 20 Erstliga-Vereine haben zusammen gut 3,5 Milliarden Euro Schulden, bei den Banken, beim Finanzamt und bei der Sozialversicherung.

Während bei zehntausenden armen Familien und gescheiterten Unternehmern im Land der Gerichtsvollzieher kommt, dürfen die Liga-Klubs weiterwursteln. Sie werden mit versteckten öffentlichen Hilfen, diskreten politischen Interventionen und Endlos-Krediten am Leben gehalten. Denn was bliebe für das darbende Volk, wenn auch die Fußballstadien von Amts wegen dichtgemacht und sogar die Kicker arbeitslos würden?

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