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Nach dem Sieg: Wolfsburg ist die neue Party-Attraktion

Vom Außenseiter zum Spitzenreiter: Einer, der es gut meint mit dem VfL, berichtet von einer Leidenschaft, die bisher keiner verstehen wollte.

Als Sohn eines schwäbischen Dorfbürgermeisters wurde ich geboren für ein Leben als ordentlicher Anhänger des VfB Stuttgart. Alles ging auch seinen rechtmäßigen Gang. Mein Großvater nahm mich Anfang der Siebziger mit ins Neckarstadion. Gerhard Heinze stand im Tor, Horscht Köppel machte das Spiel , Wolfgang Frank die Tore. Es war wunderbar und sollte für immer sein. Doch dann schied uns nicht der Tod, sondern im Frühsommer 1998 der neue Trainer Winfried Schäfer. Das war sicher nur der letzte Anstoß, aus einer fortschreitenden Entfremdung Konsequenzen zu ziehen. Aber das war klar: Es ging nicht mehr mit uns.

Ich lebte zu der Zeit schon in Berlin und trauerte dort eine angemessene Zeit. Aber irgendwann will man ja auch wieder unter Leute. Nur: Wohin? Ich bin gewiss ein libertärer, postideologischer Mensch. Aber bei Hertha BSC hört die Aufgeklärtheit auch heute noch auf.

So nahm ich Anfang des 21. Jahrhunderts eines Tages einen ICE nach Wolfsburg. Eins kam zum anderen, und dann fuhr mich der damalige Trainer Wolfgang Wolf in seinem Touareg zu einer Baustelle, die heute „VW-Arena“ heißt. Er schwärmte davon, wie toll das alles werden würde. Und da hatte ich einen irren Gedanken. Ich dachte: Vielleicht fängt hier ja tatsächlich was Neues und Spannendes an.

Tat es dann erst mal viele Jahre nicht. Aber seither steige ich jeden zweiten Samstag am Berliner Ostbahnhof in den 13.38-Uhr-ICE und bin auf eine seltsame Art glücklich. Manchmal erlebe ich, wie Mitreisende in Aufregung geraten, wenn sie aus dem Zug schauen und das Stadion sehen. Hektisch greifen sie nach ihren Koffern und rufen: „Sind wir etwa schon in Hamburg?“ Man möchte schreien: Ja, wisst ihr Banausen denn nicht, was diese Arena schon für große Spiele gesehen hat? Vor dieser Saison war das vor allem ein unter Eingeweihten unvergessenes 4:3 gegen den FSV Mainz 05.

Einmal kam ich in den Hauptbahnhof rein. Da sah ich eine junge Frau in der Halle, die ihr Bahnticket verzweifelt schwenkte und zu einer anderen Frau sagte: „Sag Sven, er soll sich erschießen. Wir sind in Wolfsburg!“ Man trifft auch selten jemanden, der auf die Frage, wer dringend mal absteigen muss, nicht antwortet: Wolfsburg. Wenn man vorsichtig fragt, warum, kriegt man eins auf die Schnauze.

Irgendwann kommt bei Partys immer die Frage, die ich liebe. „Und? Für welchen Klub sind Sie?“ Ich antworte dann so beiläufig wie möglich: „Mein Interesse gilt dem VfL Wolfsburg.“ Wenn sich die anderen wieder gefasst haben, sagen sie mitleidig: „Sie kommen aus Wolfsburg?“ Ich antworte: „Nein.“ Sie stutzen: „Aber Sie haben in Wolfsburg gelebt?“ Ich: „Nein, auch nicht.“ Früher drehten sie sich spätestens an dieser Stelle weg. Das hat sich interessanterweise seit ein paar Wochen geändert. Inzwischen führt mich der Gastgeber zu einem Pulk. Er sagt ohne weitere Erklärung meines professionellen, gesellschaftlichen und familiären Hintergrunds: „Das ist ein Wolfsburg-Fan.“ Dann sagen sie: „Oh“ oder „Aaah“. Und ich kriege eine Ahnung, wie Kaspar Hauser sich gefühlt haben muss.

Ich habe einen Freund, der es bis zuletzt nicht glauben wollte. „Du bist doch nicht wirklich für Wolfsburg“, sagte er immer wieder. In nächtelangen Fachmonologen referierte er mir die Unmöglichkeit, für Wolfsburg zu sein. Einfach so. Und überhaupt. Man werde als Fan eines Vereins geboren, man sterbe. Basta. Er sagte: Mein Versuch mit dem VfL Wolfsburg sei ein völlig verkopftes und prätentiöses Arschloch-Gehabe und damit zwar typisch für mich, aber zum Scheitern verurteilt.

Ich frage Sie: Was ist verkopft und prätentiös daran, sich für einen Klub zu interessieren, bei dem Schnoor und Franz verteidigten? Bei dem Mike Hanke ein Lichtblick war? Was ist rational daran, zwei Jahre Augenthaler-Fußball zu ertragen, dessen einziges kreatives Moment eine Flanke von Krzynowek war? Am Ende kommen sie dann immer mit VW. Ob ich das „mit meinem Gewissen“ vereinbaren könne, dass der Klub diesem Automobilkonzern gehöre?

Ehrlich gesagt: ja. Was ich nicht will, ist einen Atom- und Kohlestromkonzern als Sponsor, wie der VfB Stuttgart einen hat. Aber die 28,8-Stunden-Woche von VW halte ich mittlerweile für einen sozialen Höhepunkt des Kapitalismus, wie wir ihn kannten.

Als mein Sohn fünf war, fingen wir mit dem Fußball im Flur an. Er fragte dann immer: „Wer bist du?“ Er war Ronaldinho. Meistens war ich dann Klimowicz – einen anderen Star hatten wir ja nicht. Manchmal sagte ich aus Gründen der Abwechslung auch: „Ich bin Uwe Möhrle.“ Dann lachte er sich so schlapp, dass er nicht weiterspielen konnte.

Was soll ich sagen? Heute ist er acht, und wir gehen zusammen ins Stadion. Es wird richtiger Fußball gespielt. Wölfe vier, Gegner null oder so. Dzeko und Grafite blasen alles weg. Uns auch. Und wenn wir zu Hause im Flur spielen, ist er Benaglio oder Schäfer.

Dem habe ich es gezeigt. Und allen anderen auch.

Peter Unfried, 45, ist stellvertretender Chefredakteur der „tageszeitung“ und wohl einer der wenigen, die sich zum VfL Wolfsburg bekennen.

Peter Unfried

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