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Sport: Nach der EM: Diese Inder haben wir schon (Leitartikel)

Fußball ist ein wunderschönes Spiel. Wer das bestreitet, mag aus Prinzip keinen Sport, hat zu viele Spiele der deutschen Nationalmannschaft gesehen oder in den letzten drei Wochen den Fernseher gar nicht eingeschaltet.

Fußball ist ein wunderschönes Spiel. Wer das bestreitet, mag aus Prinzip keinen Sport, hat zu viele Spiele der deutschen Nationalmannschaft gesehen oder in den letzten drei Wochen den Fernseher gar nicht eingeschaltet. Was war das für eine Europameisterschaft! Mit brillanten Franzosen, fantasievollen Portugiesen, leidenschaftlichen Holländern, hart und doch elegant verteidigenden Italienern. Und die Deutschen? Für sie war das Turnier nach zehn Tagen beendet. Keiner hat sie vermisst, nicht einmal die Deutschen. Und einiges spricht dafür, dass dies kein Ausrutscher war sondern der erste Schritt auf dem Weg des dreimaligen Weltmeisters hin zur Fußball-B-Nation.

Lässt sich denn überhaupt noch gegensteuern? Natürlich. Doch vorher stellt sich die Frage, wie wir den Begriff der Nationalmannschaft künftig definieren: als Ansammlung mehr oder weniger talentierter Kicker mit deutschem Stammbaum oder als eine Auswahl all derer, die in diesem Land leben, seine Sprache sprechen, seinen Alltag prägen. Andersherum gefragt: Repräsentiert diese Mannschaft, die da eine Woche lang durch Holland und Belgien gestolpert ist, wirklich dieses Land, die Vielfalt seiner Gesellschaft? Und dieser Deutsche Fußball-Bund, der sich auf die lächerlichste Weise auf Trainersuche machte: Steht er für die Entscheidungsträger eines sich im Aufbruch befindenden Staates?

Wer beide Fragen mit Ja beantwortet, der darf sich weder wundern noch beschweren, wenn diese Europameisterschaftstage erst der Auftakt dessen waren, was wir in Zukunft als normal empfinden werden. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen, ehedem als typisch deutsch bezeichnete Charaktereigenschaften wie Kampf- und Einsatzbereitschaft sind einer Generation von jungen Millionären nicht mehr beizubiegen.

Doch auch die andere Option verheißt keineswegs die Aussicht auf kurzfristigen Erfolg. Im Gegenteil: Wenn Christoph Daum als designierter Bundestrainer seinen Job richtig macht, dann werden die Deutschen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht für die Weltmeisterschaft im Jahr 2002 in Japan und Südkorea qualifizieren. Über die Notwendigkeit eines Neuaufbaus besteht allgemeiner Konsens, ebenso darüber, dass zurzeit wenig da ist, worauf sich aufbauen lässt.

Dieser Mangel verbindet den Fußball mit der Computer-Wirtschaft: Beide haben sie es versäumt, beizeiten den Nachwuchs auszubilden. Die deutsche Computer-Branche will ihr personelles Loch durch die Anwerbung indischer Spezialisten stopfen. Die Fußballer haben es besser, denn ihre Inder sind schon da. Sie kicken auf den Hinterhöfen und Bolzplätzen von Kreuzberg, Neukölln oder Wedding und stehen für eine Spezies, die Fachleute an der neuen deutschen Generation so schmerzhaft vermissen: Sie sind noch echte Straßenfußballer.

Hertha BSC ist am Sonnabend Deutscher Jugend-Meister geworden; mit einer Mannschaft, in der gerade drei Spieler ein deutsches Personaldokument besitzen. Das Tor zum 1:0-Sieg im Finale über Bayern München hat Sofian Chahed geschossen, ein Sohn tunesischer Eltern, aufgewachsen in Berlin. Jugendliche wie er repräsentieren eine hungrige Generation, die Fußball noch als Chance zum Aufstieg begreift, finanziell und gesellschaftlich. Der letzte deutsche Nationalspieler, der für diese Werte stand und die Nationalmannschaft 1996 zur Europameisterschaft führte, war Matthias Sammer. Ein Kind des DDR-Sports.

Natürlich kann eine verstärkte Integration zugezogener Fußballer nicht die Probleme einer multikulturellen Gesellschaft lösen. In Frankreich haben die Tore des Zinedine Zidane für größere Akzeptanz der Nordafrikaner gesorgt, aber die banlieus brennen immer noch. Und dann gibt es noch Trittbrettfahrer wie den designierten DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder. Der CDU-Rechtsaußen hat die doppelte Staatsbürgerschaft stets als Teufelswerk gegeißelt und schwenkt erst jetzt um, da es seiner Nationalmannschaft dreckig geht. Der DFB muss sich an der Bewertung derartiger Altlasten messen lassen. Denn die Chance, die der Volkssport Fußball in dieser elementaren Frage bietet, darf nicht ungenutzt verstreichen. Es ist eine Chance, auch für den Fußball. Doppelpässe für den Doppelpass!

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