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© AFP

Nachwuchs: Herthas verlorene Jugend

Hertha BSC bildet sich einiges ein auf seine Talentförderung. Doch am Samstag wird nur ein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs auf dem Platz stehen: Thorben Marx – für Mönchengladbach.

Nach Jahren der Irrungen hat Borussia Mönchengladbach sein Scoutingsystem zuletzt erfolgreich verwissenschaftlicht; kein Spieler wird verpflichtet, der nicht ausführlich seziert und von mehreren Zeugen begutachtet wurde. Oder besser: fast keiner. Im Sommer hat Sportdirektor Max Eberl auf Wunsch des neuen Cheftrainers noch einmal eine Ausnahme gemacht. Michael Frontzeck hatte einen Spieler ins Gespräch gebracht, der ihm anderthalb Jahre zuvor in der zweiten Mannschaft von Arminia Bielefeld aufgefallen war. Er selbst hatte ihn zu den Profis hochgeholt, trotz zweifelhafter Sozialprognose. „Er war psychisch nicht in der besten Verfassung“, erinnert sich Frontzeck. Kein Wunder, wenn man als junger Mann die große Bundesligakarriere schon vor Augen hatte und dann bei den Amateuren von Arminia Bielefeld strandet. Die Rede ist von Thorben Marx.

Von Arminias Zweiter zu den Profis und von da – nach dem Abstieg – weiter zu Borussia Mönchengladbach, immer dem Trainer nach. „Das war nicht ganz einfach“, sagt Marx. In Fällen wie seinem steht schnell der Vorwurf der Vetternwirtschaft im Raum, von wegen Trainers Liebling. „Viele denken, der wird sowieso spielen.“ Auch Frontzeck hat die Skepsis des Anhangs registriert, „dass da noch einer aus Bielefeld kommt“. Aber das hat ihn nie berührt. Er war überzeugt, dass Marx hervorragend passen und die Lücke im Mittelfeld würde schließen können. Ein halbes Jahr später sind die Vorbehalte längst gegenstandslos. „Alle Beteiligten sind froh, dass wir Thorben geholt haben“, sagt Frontzeck. Bei allen 18 Saisonspielen stand Marx in Borussias Startelf.

So wird es auch am Samstag sein, wenn die Gladbacher bei Hertha BSC antreten: in der Stadt, in der Marx geboren und aufgewachsen ist, bei dem Klub, aus dessen Jugend er es bis in die Bundesliga geschafft hat. Für Hertha ist es ein zwiespältiges Wiedersehen. Zum einen ist es natürlich schön, wenn der eigene Nachwuchs auch anderswo gefragt ist; zum anderen wird Marx, inzwischen 28 Jahre alt, den Berlinern indirekt vor Augen führen, dass sie gerade ziemlich weit neben ihrem eigentlichen Weg herlaufen. Der einzige Spieler aus Herthas Jugend wird morgen im Olympiastadion das Trikot der Gladbacher tragen.

Herthas Trainer Friedhelm Funkel hat gerade erst offiziell verkündet, dass er in Zeiten des sportlichen Existenzkampfes vor allem auf Erfahrung setzt. Schon vor einer Woche in Hannover schaffte es kein Spieler aus dem eigenen Nachwuchs in die Mannschaft, grundsätzlich ändern wird sich das bis zum Saisonende wohl nicht mehr. „Hertha hat in den letzten Jahren ein bisschen die Linie verloren“, sagt Thorben Marx. Er hat noch den Hype um die eigenen Talente erlebt, als sich der Berliner Bundesligist seine Nachwuchsschulung nicht nur viele Millionen kosten ließ, sondern sich auch einiges auf ihre Erträge eingebildet hat. Geblieben ist Hertha davon nichts. Thorben Marx, Malik Fathi, Sofian Chahed, Alexander Madlung, Ashkan Dejagah, Kevin-Prince und Jerome Boateng – alle weg.

Thorben Marx hat eine prototypische Karriere hinter sich: früh gefeiert, weil er seit einer kleinen Ewigkeit der Erste war, der es aus der eigenen Jugend wieder zu den Profis geschafft hatte – und am Ende schnöde in die Fremde entlassen. Falko Götz hat seinen Unmut über den späten Marx einmal in die Worte gepackt, dass das „alles eine Soße“ sei, was der spiele. Da hatte sich Marx nach einem Kreuzbandriss gerade wieder herangekämpft. „Das war ein bisschen merkwürdig“, sagt er, „ich hätte mir gewünscht, dass man mir ein bisschen mehr Zeit gibt.“

In Mönchengladbach erfährt der Berliner die Wertschätzung, die ihm in seiner Heimat am Ende verwehrt geblieben ist. Für Frontzeck ist er ein „Eckpfeiler und Stabilisator“ im defensiven Mittelfeld. „Ich glaube, dass ich der Mannschaft mit meiner Spielweise helfe“, sagt Marx. Seine Spielweise – das heißt: viel laufen, Lücken schließen, Bälle erobern, nicht gerade hohe Fußballkunst, aber wichtig für das Gesamtprodukt. „Für die Drecksarbeit muss man ein bisschen geboren sein“, sagt Thorben Marx. Als er noch bei Hertha war, ist bei einem Spiel in Leverkusen einmal die Strecke gemessen worden, die er in 90 Minuten zurückgelegt hatte: 12,5 Kilometer war er gelaufen, so viel wie kein anderer seiner Kollegen. Neuere Daten hat Marx nicht, aber ein Gefühl: „Es ist ein bisschen mehr geworden.“

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