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Naomi Osaka nimmt sich jetzt erst einmal eine Auszeit vom Tennis.

© dpa

Rückzug von den French Open: Naomi Osaka und die Angst vor dem Tenniszirkus

Naomi Osakas Rückzug von den French Open aufgrund von Depressionen löst Betroffenheit im Tennis aus. Dabei hätte es in Paris gar nicht so weit kommen müssen.

Billie Jean King hat dem Thema einst ein ganzes Buch gewidmet. „Pressure is a privilege“ (Deutsch: „Druck ist ein Privileg“) heißt es und beschäftigt sich im Wesentlichen damit, was auf Menschen zukommt, die ganz nach oben wollen. King hat dem Druck zumeist standgehalten, sie gewann als Tennisspielerin 39 Grand-Slam-Turniere im Einzel, Doppel und Mixed.

Andere Profisportler tun sich hingegen mit zu viel Öffentlichkeit schwer. Naomi Osaka, Nach-Nachfolgerin von Billie Jean King und momentan vielleicht die weltweit populärste Spielerin auf der Frauen-Tour, offenbarte am Montagabend in Paris, an Depressionen zu leiden. Die Japanerin zog deshalb von den French Open zurück – und hinterließ weltweit Betroffenheit.

„Ich mache mir aktuell ein bisschen Sorgen um Naomi“, sagte Boris Becker als Experte bei Eurosport und stellte die Frage: „Kann sie den Beruf der Tennisspielerin fortführen?“ Serena Williams zeigte nach ihrem Erstrundensieg Mitgefühl und erklärte: „Ich wünschte, ich könnte sie einfach umarmen, weil ich weiß, wie es sich anfühlt.“

Als Williams und Osaka 2018 bei den US Open im Finale gegeneinander spielten, erlebte Osaka die Wutausbrüche ihrer Gegnerin hautnah mit. Sie wurde von den Zuschauern ausgepfiffen ohne wirklich gemeint gewesen zu sein und gewann das skandalträchtige Match damals trotzdem. Bei der Siegerehrung flossen Tränen bei ihr. Williams musste Osaka trösten.

Naomi Osaka ist die Vorzeigespielerin auf der Tennistour

Kaum zu glauben, dass eine Weltklassesportlerin, die mentale Stärke aufbringt, nicht nur ein solches Spiel zu gewinnen, sondern anschließend sogar noch besser zu werden. Noch beeindruckender ist es, dass Osaka danach immer wieder längere Phasen hatte, in denen sie unter Depressionen litt – und trotzdem weiter Leistung bringen konnte. In ihrem Statement bei Twitter, mit dem sie ihre Aufgabe in Paris begründete, berichtete sie darüber ihren über eine Million Followern.

Außerdem schrieb sie, dass sie sehr introvertiert sei und sich bei Turnieren deshalb gern unter Kopfhörern verstecke, um ihre Sozialphobie einigermaßen zu beherrschen. Für die French Open hatte die 23-Jährige angekündigt, auf die obligatorischen Pressekonferenzen verzichten zu wollen. Dafür wurde sie von anderen Spielerinnen kritisiert. Die Organisatoren des Grand-Slam-Spektakels belegten sie mit einer Geldstrafe in Höhe von 15.000 US-Dollar und drohten Osaka gar mit einem Ausschluss. Dem ist sie nun zuvorgekommen.

Soweit hätte es nicht kommen müssen. Statt öffentlich übereinander zu reden, hätten Veranstalter und Spielerin die Angelegenheit wohl besser hinter den Kulissen miteinander besprochen. Osaka muss sich den Vorwurf gefallen lassen, den eigentlichen Grund ihres Presseboykotts zu spät mitgeteilt zu haben. Die Organisatoren wiederum gossen mit ihren Sanktionen nur weiter Öl ins Feuer.

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Nun muss eine Sportlerin mit einer derart ernsten psychischen Erkrankung nicht gleich hausieren gehen. Allerdings reagierte Osaka offenbar auch nicht auf Anfragen der Turnieroffiziellen, so dass sich der Ton unnötig verschärfte. Sie habe sich in Paris besonders „verletzlich und ängstlich“ gefühlt und deshalb auf die Pressetermine verzichten wollen, schrieb Osaka in ihrem Statement und ergänzte: „Jetzt werde ich mir eine Auszeit vom Tennis nehmen.“

Der Profisport ist ein hartes Business, in dem der Schein oft trügen kann. Der Australier Nick Kyrgios beispielsweise galt stets als Enfant terrible im Tennis, der mal pöbelte und dann wieder keine Lust hatte. Im vergangenen November nannte er als Grund dafür Depressionen, die ihm das Leben auf der Tour schwer gemacht und ihn an einen „einsamen, dunklen Ort“ geführt hätten.

Was nach einer Welt voller Verheißungen klingt, in dem die Stars überall zuhause sind und sich Unmengen an Geld verdienen lassen, ist eben nur auf den ersten Blick erstrebenswert. Erst wer selbst Teil davon ist, kann dies wirklich beurteilen. Zumal die Protagonisten häufig ein Image transportieren müssen, das ihnen gar nicht unbedingt entspricht.

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Naomi Osaka beispielsweise hat bisher vier Grand- Slam-Titel gewinnen können und sich zur Vorzeigespielerin der Frauentour entwickelt. 55 Millionen US-Dollar verdiente sie allein im vergangenen Jahr, größtenteils über Werbedeals. Ob ihre Bekanntheit ohne die Berichterstattung in den Medien derart groß wäre, darf bezweifelt werden. Fakt ist: Osaka hat mit Sicherheit auch davon profitiert, dass Journalisten ihr Fragen gestellt haben. Glücklich gemacht hat sie die finanzielle Unabhängigkeit offensichtlich nicht – der Ruhm auf dem Tennisplatz ist immer nur eine kurze Momentaufnahme, von ihren Ängsten befreien konnte sie das nie.

Für die Zukunft hofft Osaka auf eine Diskussion darüber, wie den Wünschen von Spielern, Presse und Fans besser entsprochen werden könne. Zunächst aber geht es darum, dass sie sich wieder besser fühlt. Dass sie mit ihrer Erkrankung an die Öffentlichkeit gegangen ist, könnte ein erster Schritt sein.

Oder wie es die inzwischen 77 Jahre alte Billie Jean King formulierte: „Es ist unglaublich mutig, dass Naomi Osaka die Wahrheit über ihren Kampf mit Depressionen enthüllt hat.“ Der Druck auf sie als Sportlerin wird deswegen zwar künftig kaum geringer werden, zumindest aber dürfte das Verständnis dafür wachsen, was sie tut oder vielleicht lieber lässt. Und somit Naomi Osakas Leben im Tenniszirkus etwas angenehmer machen – wenn sie denn irgendwann die Kraft aufbringt und zurückkehrt.

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