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Nationalmannschaft: Auf ein Neues

Die deutsche Nationalmannschaft spielte eine starke WM, hatte gegen Spanien aber kaum eine Chance. Wie geht es für die junge Truppe nun weiter? Und was wird aus Bundestrainer Joachim Löw?

Das Ergebnis, 0:1, hört sich nicht danach an. Aber wie schon vor zwei Jahren im Endspiel der Europameisterschaft war die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im WM-Halbfinale gegen Spanien deutlich unterlegen. Dennoch: „Der Abstand ist geringer geworden“, sagt Kapitän Philipp Lahm, der schon 2008 dabei war. Für die junge Mannschaft, deren Durchschnittsalter knapp unter 25 Jahren liegt, war das Spiel trotzdem eine bittere Enttäuschung – zu überzeugend waren die Vorstellungen in den Partien davor. Aber ihre Jugend ist auch ein Trost, einer mit Perspektive.

Wie wichtig sind die jungen Spieler?

Welchen Status die junge Generation kurz- und mittelfristig für die Entwicklung der Nationalmannschaft hat, lässt sich am Kompetenzstreit zwischen Matthias Sammer, dem Sportdirektor des Deutschen Fußball Bundes (DFB), und Bundestrainer Joachim Löw ablesen. Beide beanspruchen für sich, über die U 21 zu entscheiden. Hier geht es nicht nur um Eitelkeiten. Sammer, der für das DFB-Juniorenkonzept insgesamt verantwortlich ist, möchte das Leistungskonzept nach seinen Kriterien auch in der höchsten Altersklasse anwenden, er beklagt mangelnde Koordination zwischen Teams in Verein und Verband an der Schnittstelle zwischen Junioren- und Vereinsfußball. Löw will früh uneingeschränkten Zugriff auf die Spieler haben, die schon reif für das A-Team sind.

Warum sind die Jungen so gut?

Beim Spiel gegen Spanien standen mit Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mesut Özil und Sami Khedira vier Spieler in der Startelf, die vor einem Jahr U-21-Europameister geworden sind, hinzu kommen die Reservespieler Marko Marin und Dennis Aogo. Und Thomas Müller, der im Halbfinale gegen Spanien wegen zweier gelber Karten gesperrt war, hat, ebenso wie Khedira und Özil, das gesamte Jugendsystem des DFB durchlaufen. Auf dieser strukturierten Talentförderung basiert der aktuelle Erfolg.

Vor zehn Jahren, als Deutschland bei der EM in der Vorrunde mit nur einem Punkt ausschied, verabschiedete sich der Breitensportverband DFB von Vorbehalten gegen Eliteförderung und begann damit, gezielt in den Spitzennachwuchs zu investieren. Zwei Jahre später wurden 46 Jugendleistungszentren und 366 regionale Stützpunkte eingerichtet, hier werden 14 000 talentierte Jugendliche zwischen elf und vierzehn Jahren zusätzlich zum Vereinstraining ausgebildet. 100 Millionen Euro hat das seitdem gekostet. Hinzu kommen die „Eliteschulen des Fußballs“, von denen es inzwischen 29 gibt. Hier werden Trainings- und Stundenplan aufeinander abgestimmt, es gibt Ergänzungsunterricht für Ausfälle wegen Spielen und individuelle Klausurtermine.

Die Infrastruktur ist gut ausgebaut, die Entwicklung der Jugendlichen soll klar formulierten Leitbildern folgen. So soll es bei der Persönlichkeitsförderung nicht nur um Leistungsorientierung gehen. Auch „Erfolgshunger, vorbildliches Auftreten, soziale Kompetenz, Eigeninitiative“ und andere positive Eigenschaften sollen dem Talent angedeihen, um es zu einer Profikarriere – bestenfalls zu einer in der Nationalmannschaft zu befähigen.

Der DFB ist mit 6,7 Millionen Mitgliedern und 26 000 Vereinen der größte Einzelsportverband der Welt. Mit diesen nachhaltigen Bedingungen darf er für die Zukunft auf viele weitere Talente hoffen.

Wie fördern die Profiklubs Talente?

„Der Erfolg unserer Nationalmannschaft ist in erster Linie ein Erfolg der Bundesliga. Das sind alles gestandene Bundesligaspieler, die für einige Wochen das Nationaltrikot tragen“, sagte Christian Seifert der „Sport Bild“. Seifert ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Fußball-Liga, in der jeder Lizenzklub dazu verpflichtet ist, ein Leistungszentrum für den Nachwuchs zu betreiben. Das ist die zweite Säule des deutschen Nachwuchskonzeptes. Der Jahresetat eines Bundesligisten hierfür liegt im siebenstelligen Bereich. Interesse der Klubs ist aber nicht die Förderung der Nationalmannschaft. Gut ausgebildete eigene Talente sind günstiger, als hohe Ablösesummen zu bezahlen, hinzu kommt eine hohe Identifikation der Fans mit diesen Spielern. Eine gute technische Komplettausbildung gewinnt im Fußball gegenüber Erfahrung an Bedeutung. Vor zehn Jahren lag der Altersdurchschnitt in der Bundesliga bei 28 Jahren, in dieser Saison waren es fast eineinhalb Jahre weniger. Die Klubs setzen auch bei ausländischen Spielern mehr als früher auf Talente statt auf ältere Stars. Zum Start der abgelaufenen Rückrunde waren 35 von 198 eingesetzten Spielern für die Juniorenteams ihrer Länder spielberechtigt, das sind mehr als doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Warum hat es gegen Spanien nicht gereicht?

Auch wenn er nach Philipp Lahms Empfinden geringer geworden ist, der Abstand zu den Spaniern war auch für den klar zu erkennen, der sonst keinen Fußball guckt und nur bei den großen Turnieren vor der Leinwand sitzt. Die Spanier spielen schon lange zusammen, und viele von ihnen kennen sich seit ihrer Zeit im Jugendinternat des FC Barcelona. Bei Ligaspielen des Klubs ist beispielsweise häufig zu beobachten, wie Xavi sich bei einem Freistoß von außen mit ein paar Blicken mit Carles Puyol verständigt, wohin er den Ball flanken wird.

So war auch das Tor gegen Deutschland nach einer Ecke von Xavi auf Puyol kein Zufall. Andere Nationen sind froh, wenn der Ball irgendwie scharf oder angeschnitten grob in die Mitte segelt. Neben dem eingeübten Spielverständnis braucht man dafür einen Spieler wie Xavi, der den Ball genau dorthin flankt, wo er hin soll. Ein anderes Beispiel sind die zentimetergenauen diagonalen Seitenwechsel der Spanier gegen Deutschland, bei denen der Angespielte in der Lage war, den Ball ohne Zeit und Raum zu verarbeiten. Hierzu bedarf es technischer Fähigkeiten aller im Team, die auch in der gut ausgebildeten deutschen Mannschaft die wenigsten besitzen – der Europameister ist aber der einzige Gegner auf der Welt, der Deutschland in dieser Hinsicht klar überlegen ist. Vor allem aber ist die Mannschaft der Spanier auch in ihrer Spielkultur gewachsen. Das hat seine Zeit gebraucht: So überragend wie jetzt spielen die Spanier auch erst seit ungefähr drei Jahren.

Was kann die aktuelle Mannschaft bei den nächsten Turnieren erreichen?

Die deutsche Mannschaft hat in den sieben Wochen der WM-Vorbereitung und während des Turniers eine erstaunliche Entwicklung genommen, sie ist allein in dieser Zeit einem eigenen Spielstil näher gekommen. Im Tor ist mit Manuel Neuer eine Nummer eins gefunden, das Mittelfeld ist nicht nur mit Özil und Bastian Schweinsteiger perspektivisch sehr gut besetzt, Toni Kroos gehört bald ins Team. Einzig in der Sturmzentrale drängt sich aktuell kein 20-Jähriger auf, aber Mario Gomez besitzt weiter viel Potenzial – auch wenn er sich sowohl im Verein, dem FC Bayern München, als auch in der Nationalmannschaft seit längerer Zeit nicht richtig weiterentwickelt hat.

Und nicht nur für die Abwehr warten zu Hause schon die nächsten Kandidaten wie der Schalker Benedikt Höwedes oder Mats Hummels von Borussia Dortmund, deren Berufung viele Fans schon zu diesem Turnier gefordert haben. Personell ist die Mannschaft gut aufgestellt, sie kann sich in den kommenden Jahren weiter verbessern. Bis es nicht nur für England und Argentinien, sondern auch für Spanien reichen kann, mag es allerdings noch einige Jahre dauern.

Was wird aus Joachim Löw?

Um die Zukunft von Joachim Löw zu bestimmen, muss man viele kleine Zeichen lesen. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte vor der WM trotz vollmundiger Ankündigungen die Vertragsverlängerung mit dem Bundestrainer verpatzt. Präsident Theo Zwanziger versucht diesen Fehler mit täglichen Lobeshymnen auf Löw wiedergutzumachen. Doch der 50-Jährige, dem der erfolgreiche Turnierverlauf mit der jungen Mannschaft gutgeschrieben wird, schweigt.

Löw will die junge Mannschaft weiterentwickeln (die Mannschaft möchte das auch), aber zu seinen Bedingungen. Zu denen hatte bislang gehört, mit dem im DFB umstrittenen Teammanager Oliver Bierhoff weiterzuarbeiten.

Die kleinen Zeichen in dieser Schlüsselfrage verändern sich in Südafrika gerade: Bundesliga-Chef Reinhard Rauball warnt zwar immer noch davor, dass sich die Nationalmannschaft verselbstständigt. Zwanziger dagegen kann sich durchaus wieder vorstellen, mit Bierhoff zu verlängern. Löw lässt sich von diesen Annäherungen nicht beeindrucken und will sich wohl erst in der kommenden Woche entscheiden, ob er weitermacht. Darin könnte man eine innere Verletztheit Löws über den Vertragsstreit erkennen; auf alle Fälle verbessert er damit seine Verhandlungsposition gegenüber der DFB-Spitze. Die hält zwar Matthias Sammer als Ersatz bereit, wäre aber bei einem Abgang Löws im Groll erneut blamiert. Das will Zwanziger verhindern, schließlich hat er seine Zukunft schon geklärt: Der 65-Jährige will wiedergewählt werden.

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